Johann Gottfried Seume 

Mir Seume als Vorbild und Anregung für meine Reise zu nehmen, hat auch damit zu tun, dass Seume ein großer Humanist, ein demokratisch gesinnter Mensch, und (für mich persönlich nicht unwichtig) auch ein offen bekennender Atheist war. Seume hat in seinen Äußerungen dem Nationalismus keinen Raum gegeben, er war offen für die verschiedensten Kulturen, er war Multilinguist. Seume war ein früher Europäer im modernen Sinn.

Einige kurze biografische Angaben zu seinem Leben für alle Menschen, die seine Autobiographie, die nach seinem Tode von Freunden vollendet wurde, nicht lesen möchten, seien hier notiert. Nachstehend zitiere ich aus dem Artikel auf Wikipedia und habe dort auch die vom Dresdner Maler Kügelgen gefertigte Zeichnung gefunden, habe hier jedoch einige weiterführende Informationen ergänzt.

Seume wurde am 29. Januar 1763 geboren in Poserna, ein Dorf, Ortsteil der Stadt Lützen im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt, südwestlich von Leipzig. Er starb am 13. Juni 1810 in Teplitz, Böhmen, während eines Kuraufenthaltes, schon schwer erkrankt. Er wurde also gerade einmal 47 Jahre alt. Seume lebte als Sohn des Landwirts und vormaligen Böttchers Andreas Seume und der Bauerntochter Regine Liebing in bescheidenen Verhältnisse. Er besuchte die Dorfschule und die Lateinschule des Rektors Korbinsky in Borna. Dort fiel er bereits als Sprachtalent auf. Von 1776 bis 1777 war er Schüler an der traditionsreichen Nikolaischule in Leipzig. Beide Schulbesuche waren nur möglich, weil er einen vermögenden Gönner fand, der ihm später auch das Studium finanzierte.

Seume studierte 1780/81 an der Universität Leipzig Theologie, um nach dem Willen seines Förderers Pfarrer zu werden. Er interessierte sich aber auch für viele andere Fächer, u.a. Mathematik und Philosophie. Während seiner Jahre in Leipzig besuchte er geradezu exzessiv Theater und Konzerte. Gleichzeitig kam er in der Messestadt mit zahlreichen Verlagen und offenbar auch den Ideen der Aufklärung in Kontakt. Doch schon bald plagten den Achtzehnjährigen Glaubenszweifel:

„Es fing nun an furchtbar in mir zu gähren. Ich begriff, daß ich als ehrlicher Mann nicht auf dem Wege fortwandeln konnte.“ 

Seume fasste 1781 den Entschluss, Deutschland zu verlassen, um in Metz die Artillerieschule zu besuchen. Er erhoffte sich einen französischen Offiziersrang. Nur in Frankreich konnten damals Bürgerliche Offizier werden. Zuvor hat er seine gesamte Habe versilbert und auch einige Schulden bezahlt.

Ende Juni 1781 machte er sich auf den Weg nach Frankreich, doch schon am dritten Tag „übernahm trotz allem Protest der Landgraf von Kassel, der damalige große Menschenmäkler, durch seine Werber die Besorgung [seiner] ferneren Nachtquartiere“. Seume sollte als Soldat für den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg an Großbritannien vermietet werden und wurde zunächst in die Festung Ziegenhain, den Sammelplatz für die Rekruten, und im Frühjahr 1782 nach Bremerlehe gebracht.

Wobei es hier auch Behauptungen gibt, er habe sich von einem Handgeld locken lassen. Er erhielt eine kurze militärische Ausbildung als Infanterist und wurde dann vom Landgrafen von Hessen-Kassel an England für den Kampf im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg vermietet. Dazu erfolgte zunächst ein strapaziöser Transport mit Fußmärschen und Booten auf der Weser nach Bremen.

Nach monatelanger Überfahrt (zweiundzwanzig Wochen) landete er im August 1782 bei Halifax in Kanada, wo es jedoch nicht mehr zu Kampfhandlungen kam. Der Transport über den Atlantik fand unter unglaublich beengten Verhältnissen bei katastrophaler Ernährung statt. In seinen späteren Schriften erinnert er sich immer wieder an schleimige Maden im Trinkwasser, welches deswegen durch Tücher geseiht wurde. Seume nutzte wohl aber die Möglichkeit, an Deck von den englischen Matrosen die Grundlagen der englischen Sprache zu erlernen. Später als Lektor hat er Übersetzungen aus dem Englischen realisiert.

In Halifax lebte er monatelang in einem Feldlager. Da der Unabhängigkeitskrieg der Engländer und Franzosen gegen die Kanadier endete, hatte er viel Zeit, so dass er u.a. Kontakt mit Indigenen aufnahm. Seine Bewunderung für die natürliche Ungezwungenheit der Einwohner schlug sich in seinem oft zitierten Gedicht „Der Wilde“ nieder: „Ein Kanadier, der Europens übertünchte Höflichkeit nicht kannte …“.

In Halifax, Seume war 19, schloss er Freundschaft mit dem hessischen Offizier Karl von Münchhausen. Das war ihm nur möglich, weil er an den Abenden immer wieder Vorträge zur antiken Literatur und Geschichte hielt. Offenbar hatte er auch einige Klassiker bei sich. Seume war wohl ein sprachgewandter eloquenter Typ. Das bescherte ihm nach einer Weile auch die Beförderung zum Unteroffizier, was mit einigen Privilegien verbunden war.

Im August oder September 1783 wurde er mit seiner Einheit mit dem Schiff nach Bremen zurücktransportiert. Diesmal dauerte die Überfahrt nur ca. 4 Wochen und war etwas weniger strapaziös. In Bremen desertierte er nach kurzer Zeit aus der hessischen Armee, wurde jedoch von Einheiten des Preußenkönigs Friedrich II. festgenommen und nach Emden gebracht, wo er bis 1787 als Musketier diente. Offenbar war Seume erpressbar, denn bei einer Auslieferung an die Hessen hätte ihm eine harte Strafe gedroht. Zwei Fluchtversuche aus dem preußischen Dienst scheiterten; ihm drohte die nicht selten todbringende Strafe des Spießrutenlaufens, die durch Vermittlung von Oberst Wilhelm René de l’Homme de Courbière in Festungshaft umgewandelt wurde.

Aber während Dienst und Haft in Emden kam ihm erneut seine Bildung zugute: er unterrichtete Sprachen, u.a. für die Kinder der Offiziere.

Als ihm gegen Kaution Urlaub aus der preußischen Haft gewährt wurde, ging er nach Sachsen und studierte dort an der Universität Leipzig von 1789 bis 1792 (also bis zu seinem 29. Lebensjahr) weiter, und zwar Jura, Philosophie, Philologie und Geschichte.

Die Kaution für den Urlaub aus der Festungshaft umfasste 80 Taler, was heute ca. 80.000 € entspricht. Er erbat den Hafturlaub offiziell mit der Begründung, nach etlichen Jahren seine Mutter noch einmal sehen zu wollen. Das Geld wurde von Freunden zusammengetragen. Keiner hoffte wohl ernsthaft auf eine Rückerstattung. Seume tat jedoch genau dies aus seinen ersten Erlösen aus der Vermarktung seines „Spaziergang nach Syrakus“.

Seume beendete das Studium mit dem Magister, habilitierte sich und arbeitete danach wie schon während des Studiums als Hofmeister, also Privatlehrer in vermögenden Familien. Seine Anstellung im Dienst des Grafen Gustav Otto Andreas von Igelström verschaffte ihm bald eine Stelle als Sekretär mit Offiziersrang von dessen Bruder, dem russischen General Otto Heinrich von Igelström (1737–1823). Als solcher erlebte er die Niederwerfung des polnischen Aufstandes auf der Seite der herrschenden Russen in Warschau. Dieser Aufstand war eine gegen die Teilungen Polens gerichtete militärische Erhebung polnischer Patrioten unter der Führung von General Tadeusz Kościuszko im Jahr 1794. Seume schildert seine Zeit als Adjutant mit ein wenig Selbstlob, er hätte quasi die gesamten Geschäfte seines Generals organisiert, wozu u.a. Finanzfragen gehörten, diverse Verwaltungsakte und die Korrespondenz mit dem Zarenhof und ausländischen Armeen.

Während des Kościuszko-Aufstands polnischer Adliger geriet Seume von April 1794-November 1794 in Gefangenschaft. Der Aufstand wurde jedoch durch Preußen und Russen niedergeschlagen und Seume kam frei. 1796 (mit 33 Jahren) wurde er in Ehren aus der russischen Armee entlassen. Es blieb ihm zeitlebens ein großes Interesse an militärischen Fragen erhalten, so dass er in seinen Reiseschriften wiederholt darauf eingeht, wie viele Soldaten man zur Verteidigung oder Eroberung der jeweils besichtigten Festung oder Stadt benötige.

Seume arbeitete von 1797 an bis zu seiner ersten großen Wanderung (1801, mit 38 Jahren) in Grimma als Korrektor bei seinem Freund, dem Verleger Georg Joachim Göschen, nachdem dieser sein Verlagshaus nach Grimma verlegt hatte. 1797 veröffentlichte er mit Münchhausen, seinem Offiziersfreund aus Kanada, den gemeinsamen Gedichtband „Rückerinnerungen“ von allerdings zweifelhafter literarischer Qualität.

Göschen war ein recht erfolgreicher und durchaus arbeitnehmerfreundlicher Unternehmer. Er verlegte seinen Verlag von Leipzig nach Grimma, weil die Zunftbestimmungen in Leipzig nur das Drucken in Fraktur zuließen. Göschen wollte jedoch (z.B.) lateinische Schriften verwenden. Göschen verlegte anfangs die Werke von (u.a.) Goethe, Schiller und Wieland bis diese zum Verleger Cotta nach Gotha abwanderten.

Aus der Zeit in Grimma, er wohnte im Haus Markt 10, ist überliefert, dass er regelmäßig von Grimma nach Leipzig ins Theater lief (ca. 30 km). Diese Tradition wurde von der Internationalen Seumegesellschaft Arethusa e.V. in Gestalt des jährlichen „Seumelatschs“ fortgeführt.

In den folgenden Jahren ab 1801 unternahm Seume zwei große Reisen, die ihn in weite Teile Europas führten.

Zunächst reiste Seume 1801/1802 nach Syrakus und legte weite Teile der 6.000 km zu Fuß zurück. Bis Syrakus – dem Hauptziel seiner Reise – sind es 2.700 km zuzüglich Überfahrt von Neapel nach Palermo. Davon hat Seume gemäß seinen Aufzeichnungen ca. 500 km mit Booten, Kutschen, Mauleseln und z.T. auch unter Zuhilfenahme von Trägern realisiert. Er erlebte die teils schlimmen sozialen Zustände des gerade von Napoleon besetzten Norditaliens und musste wegen Überschwemmungen in der Po-Eben und in Venezien erhebliche Umwege in Kauf nehmen. Dies erklärt auch diverse „Bögen“ in seiner Route.

Auf dem Rückweg über Paris hat er nur die Alpen zu Fuß überquert und weitaus größere Teile der Strecke mit Postkutschen bewältigt. In Paris wollte er sich eigentlich mit seinem Freund, dem Leipziger Maler Schnorr von Carolsfeld, treffen, der aber kurz zuvor abgereist war. Schnorr hatte Seume von Grimma aus am Beginn der Wanderung nach Syrakus mit einem weiteren Freund bis Wien begleitet, wo er dann nach Paris abbog.

Am Ende seines Werkes „Spaziergang nach Syrakus in Jahre 1802“ – übrigens in 15 europäischen Staaten sofort auf den Index gesetzt - schrieb Seume nicht gleich eine Elegie auf seinen Schuhmacher namens Heerdegen (wie Johann Wolfgang von Goethe auf Johann Martin Mieding), doch gedachte er seiner in folgenden Worten:

„Zum Lobe meines Schuhmachers, des mannhaften alten Heerdegen in Leipzig, muß ich Dir noch sagen, daß ich in den nämlichen Stiefeln ausgegangen und zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe ansetzen zu lassen, und daß diese noch das Ansehen haben, in baulichem Wesen noch eine solche Wanderung mitzumachen.“

Dazu kam es dann in den folgenden Jahren wohl auch. Allerdings musste er ihre Besohlung während seines Spazierganges in Palermo zum zweiten Mal reparieren lassen, wie er selbst schrieb.

In Leipzig angekommen, war er als Schriftsteller tätig und erteilte als Hauslehrer Sprachunterricht. Offenbar hat er aber auch weiter als Lektor für Göschen gearbeitet, denn er war oft zu Gast in Göschens Villa in Grimma-Hohenstaedt, die man heute noch besichtigen kann. Göschen hatte ihm für die Wanderung nach Syrakus auch ein Darlehen gegeben.

Eine zweite Reise führte ihn 1805/1806 nach Russland, Finnland und Schweden. Er umrundete die Ostsee mit Kutsche, Schiff und auch wieder streckenweise zu Fuß und unternahm einen Abstecher nach Moskau, um am Hofe seine Rente zu beantragen. „Mein Sommer 1805“ kam sofort auf den Index, weil er sich sehr kritisch über die Zustände in Russland und Preußen geäußert hat.

Seine Eindrücke auf diesen beiden großen Reisen beschrieb er mit besonderem Blick auf die jeweiligen sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse. Johann Gottfried Seume gilt demnach als kulturhistorischer Reiseschriftsteller, der mit Genauigkeit und Nüchternheit über die Verhältnisse in fremden Ländern berichtete. Aufgrund seiner eigenen Erlebnisse als Soldat in Nordamerika, Polen und Deutschland setzte er sich besonders für die Freiheitsrechte einzelner Menschen und ganzer Völker ein. Die ersten zwanzig Lebensjahre bis zur Rückkehr aus Amerika schildert Seume in seiner Autobiographie Mein Leben (1809), die 1813 posthum erschien.

Obwohl er wohl recht umgänglich war, stieß er mit der Entschiedenheit seiner Anschauungen viele ab. Über seine asketische Lebensweise sagte er:

„Ich trinke keinen Wein, keinen Kaffeeh, keinen Liqueur, rauche keinen Tabak und schnupfe keinen, eße die einfachsten Speisen, und bin nie krank gewesen, nicht auf der See und unter den verschiedensten Himmelstrichen.“

Allerdings berichtet er in seinem „Spaziergang nach Syrakus“ sehr oft von Abenden mit Bier oder Wein, welches wohl Alltagsgetränke waren. Zugleich äußert er sich auch immer wieder zur Qualität des Trinkwassers.

Ein weiteres, sehr berühmtes Zitat, das ihm zugeordnet wird, lautet:

„Wo man singt, da laß’ dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.“

Hierbei handelt es sich mit einiger Sicherheit um eine im Volksmund entstandene Abwandlung einer Strophe seines Gedichtes Die Gesänge von 1804:

„Wo man singet, lass dich ruhig nieder,
 Ohne Furcht, was man im Lande glaubt;
 Wo man singet, wird kein Mensch beraubt;
 Bösewichter haben keine Lieder.“

In seinen letzten Lebensjahren verschlechterte sich Seumes finanzielle Situation. Ein erster Antrag auf eine russische Offizierspension wurde abgelehnt. Zusätzlich zu einem Fußleiden wurde Seume im Jahr 1808 von einer schweren Nieren- und Blasenkrankheit heimgesucht, von dem er sich nicht mehr erholte. Als sich das Fußleiden besserte, wanderte er nach Weimar zu seinem Freund Christoph Martin Wieland, der 1809 einen zweiten Antrag stellte.

Seume erhoffte sich Heilung im böhmischen Teplitz, lieh sich Geld und wanderte mit Christoph August Tiedge 1810 zu diesem Kurort, starb dort allerdings zehn Tage nach seiner Ankunft. Er wurde auf dem Teplitzer Friedhof beigesetzt, sein Grab existiert noch heute. Die Nachricht von der Bewilligung der Pension erreichte ihn zehn Tage nach seinem Tod.

Seume unterhielt nachweislich Briefwechsel mit Schiller, Goethe und Wieland. Folgt man den Schilderungen in seinen Reisebüchern, hatte er zahlreiche Kontakte zu Intellektuellen im Ausland.

Ein schöner Satz findet sich in „Mein Sommer 1805“: 

„Würden die Menschen mehr gehen, würde vieles besser gehen.“