Der Tag begann mit einem Flop, aber oft sind es die guten Tage, die so beginnen. Nach etwa 1,5 km leitet mich Komoot weg von der großen Straße ohne Fußweg über eine kleine Autobahnbrücke in den Wald. Aber nach ca. 700 m stehe ich vor einer Furt, an der man einen kleinen Fluss überqueren kann. Mit dem Traktor. Oder mit hohen Gummistiefeln. Waten ist mir in solchen Situationen zu riskant. Nie weiß man, was auf dem Grund des Gewässers herumliegt, was im Wasser so rumschwimmt. Das mache ich sonst, ohne mit der Wimper zu zucken, aber nicht auf einer Langstreckenwanderung. Auch weiß ich nicht, wo der Weg hinter der Furt hinführt, denn mein Wanderweg soll nach Komoot zwischen Flussufer und dem Maschendrahtzaun entlangführen, der die benachbarte Autobahn vom Rest der Welt trennt. Tatsächlich ist sowas wie ein Pfad zu erkennen. Den nehme ich entschlossen, denn den ganzen Weg zurück will ich nicht gehen, auch bliebe dann als Alternative nur die oben erwähnte große Straße ohne Fußweg.

Aber der Pfad wird immer schmaler, das Gestrüpp immer dichter, die Böschung immer höher und steiler. Mal ärgere ich mich über die Büsche, weil ich mich mit dem Rucksack kaum durchzwängen kann, mal freue ich mich, dass ich mich an einem stärkeren Exemplar festhalten kann. Inzwischen ist die Böschung ca. 2 m hoch, der Pfad, der längst keiner mehr ist, kaum einen halben Meter breit. Als ich grade mit dem kleinen Finger rechts im Maschendraht hänge und links mit dem Wanderstab tastend Halt suche, klingelt das Telefon. Wer ist dran: das Finanzamt Marzahn-Hellersdorf. Post sei zweimal zurückgekommen, ob denn meine Adresse stimme nicht. Ja, sag ich, und diktiere sie nochmal. Verblüffung am anderen Ende, es geht um eine spezielle Steuernummer für die Berliner Übernachtungssteuer. „Darf ich ihnen die Steuernummer diktieren?“ fragt die Frau vom Amt. „Nee“, sag ich, „grad ungünstig. Schicken sie die doch per E-Mail.“ „Nein, das geht nicht“. „Aber meine E-mailadresse haben sie doch“. „Ja.“ „Dann halt noch mal mit Post und nur meinen Namen drauf.“ „Das ist jetzt aber im Computer so angelegt, das muss ich dann per Hand auf den Umschlag schreiben.“ „Bitte.“

Endlich, nach ca. 50 m Kletterei, finde ich eine Stelle, an der der Maschendraht zur Autobahn einen Defekt aufweist. Ich trete ihn so flach, dass ich drüber komme. Jetzt stapfe ich neben der Autobahn, und nach kurzer Zeit sind Schuhe und Hosen so nass, dass ich auch durch den Fluss hätte laufen können. Wieder 100 m weiter dann eine Stelle, an der der Maschendraht mit ein wenig Nachhelfen auch wieder so flach ist, dass ich auf einen Feldweg komme.

Nach diesem Ausflug lande ich wieder auf der großen Straße ohne Fußweg. Und auf dieser marschiere ich tapfer Kurve um Kurve. Es will kein Fußweg kommen, es kommen zu Glück aber auch nicht so viele Autos. Das Tal wird enger und dunkler. Neben der großen Straße ohne Fußweg, mal auf Stelzen, mal im Tunnel, die Autobahn nach Ljubljana. Keine Dörfer, ab und zu mal ein Haus, nichts, was einen erträglichen und netten Umweg versprechen würde. Bushaltestellen ohne Bank und Haus, immerhin das Versprechen, dass auch am späten Nachmittag noch ein Bus nach Ljubljana fährt.

Nach einem absolut fußgängerfeindlichen Kreisverkehr mit integrierter Autobahnabfahrt endlich ein kleines Dorf, Trojane. Und dort ist eine Raststätte, auf die schon Kilometer vorher hingewiesen wird. Es ist ein großer Bau mit viel Solar auf dem Dach, riesigem Parkplatz, auf dem auch Touribusse stehen. Die Leute rennen mit großen Tüten rum und an einer Art Schalter werden Pfannkuchen (Berliner oder wie auch immer ihr die Dinger nennt) in Großpackung verkauft, anderes süßes Gebäck auch. Ich habe so gegen 11 aber keinen Appetit auf Süßes. Stattdessen regt sich mein altes Tramper-Gen. Eigentlich eine ideale Stelle, um an der Ausfahrt einen Lift nach Ljubljana zu erwischen. Weiterwandern an der doofen Straße will ich nicht (das wäre die Alternative), und am Tagesziel wäre ein Bett eher Glückssache, dann bliebe ohnehin nur der Bus bis Ljubljana. Also krame ich aus den Tiefen des Rucksacks einen großen Edding und male auf die Rückseite einer Hotelrechnung ein großes „L“ und ein „J“, das sind die Autokennzeichen von Ljubljana. Meinen Wanderstab verstaue ich unter der Regenhülle des Rucksacks, Mütze ab, freundliches Gesicht, Flaggenschärpe umgehangen.

Und nach nur einer Minute hält ein Mann um die Dreißig seinen weißen BMW neben mir an, schubst telefonierend die Tür auf, bittet mich gestikulierend rein, nachdem wir auf Englisch das Fahrziel klar gemacht haben. Dann fahren wir los. Er entschuldigt sich, dass er telefonieren musste, seine Frau, sie hat ihn gerade gebeten, auf keinen Fall Tramper mitzunehmen. Aber alles gut. Erster Eindruck zählt, sagt er, und helfen, wenn man helfen kann, sei sein Prinzip. Klingt gut für jemanden, der in der Uniklinik Fachpfleger für Anästhesie ist. „Ob ich denn Pfannkuchen gekauft habe?“ „Nein.“ Er lacht und wundert sich. „Das hier ist die berühmteste Bäckerei Sloweniens! Jeder der hier in der Gegend ist, kauft diese Pfannkuchen. Ich musste auch eine große Tüte für die Familie mitbringen.“

Es bleiben nur 31 km Auto für einen kurzen und freundlichen Austausch über das Reisen, das Leben, das Vertrauen in den unbekannten Mitmenschen. Dann setzt er mich im Norden Ljubljanas am Autobahnzubringer ab. Ich hatte ihn explizit gebeten, für mich keinen Umweg zu fahren, denn es ist ja noch Zeit und ich will wenigstens die letzten 5 Kilometer in die Stadt laufen.

Und tatsächlich mache ich nach kurzer Zeit eine interessante Entdeckung: einen kleinen Bunker mit Schießscharten aus der Zeit des 2. Weltkriegs. Er gehörte zu dem befestigten Zaun, den die deutschen Besatzer um die ganz Stadt gezogen haben, um irgendwie die Kontrolle über die Partisanen zu bekommen. Damit war aber auch für viele Juden das Entkommen nicht mehr möglich. Eine Form der Ghettoisierung, von der ich bis dato nichts wusste, und an die nun ein begrünter Weg mit zahlreichen Gedenktafeln erinnert, vergleichbar dem Berliner Mauerweg.

In Ljubljana habe ich Quartier in einem Hostel mit Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftsdusche, Gemeinschafts-WC, aber günstig und direkt in der Altstadt. Damit gehen wieder ein paar Euro von mir an die Ukraine. Und bei der Gelegenheit meinen herzlichen Dank an den Spender und Seumefreund Andreas Z. aus der Nähe von Wien!

Den Nachmittag habe ich nach einem kurzen Gang durch die Innenstadt genutzt, um das Museum für moderne Kunst zu besuchen. Gezeigt wurde u.a. eine beachtliche Schau der jüngeren Maler der Gegenwart in einer Sonderausstellung.


Morgens vor dem Hotel in Ceplje, einem kleinen Dorf an einer großen Straße

Tag 42 Von Ceplje nach Ljubljana

12. Oktober 2022, 49 km davon 18 km gewandert, 31 km getrampt bis km 1.078

Eigentlich könnte alles so schön sein, wenn keine Autos kommen

Eine deutsche Hinterlassenschaft in Ljubljana. Zum Schutz vor Partisanan war die ganze Stadt mit Bunkern und einem Zaun umgeben während der Zeit der deutschen Besatzung