Gela hat einen Bahnhof mit einer beachtlichen Zahl an Gleisen. Nur rollendes Material habe ich nicht gesehen. Kann ja ein Zufall sein. Aber Gela ist tatsächlich weitgehend abgeschnitten von Sizilianischen Personenzugverkehr, wie die Fahrpläne verkünden.
An einem Markt habe ich mich mit Obst und Käse eingedeckt und hervorragenden getrockneten Feigen. Dann ging es raus aus der Stadt über einen Kreisverkehr voller Leitplanken, ohne Fußwege. Zum Glück war das nur eine kurze Strecke, dann lief ich fast den ganzen Tag über Feldwege, erst vor meinem Tagesziel hatte ich wieder eine Regionalstraße über 5 km zu gehen.
Gleich auf dem ersten Kilometer des Feldwegs musste ich durch eine sehr große, etwas zu tiefe Pfütze waten, das benachbarte Feld war überschwemmt, der Entwässerungsgraben lief über. Meine Stiefel haben etwas geschluckt, aber heute war es ja wieder recht warm. Dann war gleich mal Hundeversammlung vor mir auf dem Weg. Fünf wild kläffende Hirtenhunde kamen aus einem Grundstück gestürmt, blieben aber halbwegs auf Distanz. Also: demonstrativ Stein aufheben, Knüppel fest in die Hand mit der Spitze nach vorn…. Dann kam zum Glück der Besitzer, der das wilde Kläffen hörte, und die Hunde beruhigen konnte. Er brabbelte irgendwelche Nettigkeiten, Entschuldigungen und irgendwas von „essen“. Einen von den Hunden? Hätte ich gern gefragt…bin aber missmutigen Blickes weitergezogen.
Die Gela, der namensgebende Fluss, bildet hier ein weites flaches Tal. Von Weitem sieht man auf einer Anhöhe die Stadt Gela und die benachbarte Raffinerie. Aber auch einen Bohrturm habe ich in einiger Entfernung gesehen und diverse Ölpumpen mit ihren typischen wippenden Köpfen. Offenbar lohnt sich die Förderung noch oder wieder.
Es war wieder eine Landschaft voller Müll. Und einmal sah ich sogar einen Mann mittleren Alters, der am helllichten Tag von einem Transporter Bauschutt die Böschung des Flusses hinunterwarf. Leider war er zu weit weg für ein Fahndungsfoto, aber er muss mich gesehen haben, denn ich musste gerade über ein gepflügtes Feld stapfen, weil ich einen von Komoot ausgewiesenen Wanderweg nicht ernst genommen hatte. Es war nämlich kein Weg, sondern ein mit Müll zugeschütteter Bewässerungskanal aus Beton. An dem war ich vorbeigegangen, aber jetzt musste ich zurück, denn dieser Kanal führte über einen anderen breiten verschilften Wasserlauf, den ich zu queren hatte. So musste ich denn in diesen Kanal steigen, der dort, wo ich es tat, unter Wasser stand, aber ein dickes Plastikrohr, eine Wasserleitung von etwa 30 cm Durchmesser, zum Balancieren anbot. Ich hatte keine Wahl, dann aber das Problem, an den glatten, ca. 1,20 cm hohen Betonwänden am anderen Ende des Kanals mit meinem schweren Rucksack wieder herauszukommen. Endlich fand ich eine marode Stelle, wo mein Stiefel am heraushängenden Bewehrungsstahl Halt fand.
Zahlreiche Bauern traf ich heute, die mit der Aussaht beschäftigt waren. Viele wollten wissen, was ich in dieser Gegend mache. Leider war die Verständigung immer nur mit dem Google-Translator möglich. Fast alle hatten irgendwie Verwandte in Deutschland und riefen immer gleich die Namen der Städte, die ihnen so einfielen, alle natürlich in den gebrauchten Bundesländern. Bemerkenswert war die Begegnung mit Rocco: er überholte mich auf dem Feldweg mit seinem Transporter nur halb, blieb dann stehen, gestikulierte durch die Scheibe und stieg aus. Dann reckte er mir zur Begrüßung wie ein alter Rapper seine komplett behaarte Faust entgegen. Er erzählte, dass seine Eltern in Deutschland leben und er sie oft besucht habe. Ich erzählte, was ich mache, er wollte wissen, wie alt ich bin, wie weit ich so laufe am Tag, und war begeistert. Das war ein schöner Moment.
Aber ansonsten ging der Tag so. Die Wege waren oft schlammig, und es war nicht einfach, einen Platz zu finden, an dem man sich für eine Pause hinsetzen konnte. Es gab kein Dorf am Weg und selbstredend auch null Gastronomie.
Niecemi ist ein etwas gesichtsloses Kaff, aber sehr schön auf einem Bergrücken gelegen, man sieht es schon aus großer Entfernung. Es will nur ewig nicht näherkommen, wenn man in seine Richtung läuft.
An meinem Quartier wurde ich von Joana empfangen. Sie spricht gut Englisch, denn sie hat als Sängerin mit einer Band einige Zeit in London gelebt und auch in Tunesien gastiert. Weil ihre Tante in Deutschland lebt, konnte sie auch etwas Deutsch. Wir konnten uns nur kurz unterhalten, denn sie musste zurück ins Büro und ich wollte endlich unter die Dusche. Aber auch sie klagte über den allgegenwärtigen Müll.
Ich bin heute – meint Joana – typisch sizilianisch untergebracht: ein mehrflügeliges breites Tor verbindet das garagenartige hohe Wohn- und Schlafzimmer meiner Ferienwohnung direkt mit dem Fußweg. Man könnte hier problemlos mit einem Traktor hereinfahren und z.B. das Bett rausziehen.
Und was schrieb Seume zum heutigen Tag:
„Den andern Morgen ging ich über den Fluß Gela und durch ein herrliches Tal nach Santa Maria di Niscemi hinauf. Dieses Tal mit den Partien an dem Flusse links und rechts hinauf machte vermutlich die Hauptgruppe der geloischen Felder aus. Wenn auch Gela nicht gerade da stand, wo jetzt Terra Nuova steht, so lag es doch gewiß nicht weit davon, und höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach dem Flusse hin, wo noch jetzt einige alte Überreste von Gemäuern und Säulen zu sehen sein sollen. Das Tal ist auch noch jetzt in der äußersten Vernachlässigung sehr schön, und es läßt sich begreifen, daß es ehmals bei der Industrie der Griechen ein Zaubergarten mag gewesen sein. Hier in Niscemi ist es wahrscheinlich, wo vor mehrern Jahren ein merkwürdiger Erdfall geschehen ist…“
Tja, die äußerste Vernachlässigung kann ich nachvollziehen.
Heute in einer Woche werde ich in den Zug steigen. Aber morgen gibt’s noch mal etwas Regen. Genaues weiß ich nicht, denn in der Wohnung gibt es kein WLAN, und der Handyempfang ist unterirdisch in dem alten kalten Gemäuer.
Ein Artischockenfeld hinter Gela. Am Horizont eine Raffinerie udn ein verlassenes Gehöft
Tag 100 Von Gela nach Niecemi
Rocco hielt seine Trnasporter an für einen kleinen Schwatz
Hinten auf dem Plateu mein Tagesziel: Niciemi
Mein Quartier in Niciemi gehörte definitiv nicht zu den hübschesten. Krass war die Küche ohne Fenster mit Propangasherd, an dem ein Schild prangte, dass er nicht in geschlossenen Räumen benutzt werden darf. Neben der Küche dann ebenso fensterlos Toilette und Dusche.