Heute habe ich keine so lange Strecke zurückgelegt. Mit gemächlichen 4,7 km/h bin ich dahingeschlichen. Ich wollte meine Füße etwas schonen. Tatsächlich verhält sich das durch Arthrose geschädigte Gelenk des linken Fußes erfreulich ruhig. Nur die Blasen nerven. Ich habe mehr Pausen gemacht als sonst. Das Gelände war durchgehend flach. Auch bin ich viel auf asphaltierten Nebenstraßen gegangen. Man sagt ja immer, Wald- oder Feldwege seien besser für die Füße. Das mag grundsätzlich stimmen. Mir jedoch tut es gut, wenn ich die Füße auf ebenem Grund gleichmäßig und kontrolliert aufsetzen kann. Die Legende vom weichen Waldboden stimmt ohnehin nicht mehr, denn oft sind auch die Wege durch den Wald festgefahren oder gar mit Schotter bedeckt.

Kolin hat eine schöne Altstadt. Ich habe mich nicht so lange mit den barocken Fassaden am Markt aufgehalten, bin noch einmal auf einen Hügel zur sehr alten gotischen Stadtkirche hinaufgestiegen.

Der Weg aus der Stadt hinaus führte wie so oft zunächst durch Industriegebiete, Lagerhallen und Großmärkte. Bald schon wurde die Siedlungsstruktur dörflich, und ich war auf endlosen Maisfeldern unter einem grauen Himmel unterwegs. Menschen begegneten mir kaum. Stattdessen dröhnte der Himmel fast den ganzen Tag von Düsenjägern, die von dem bei Caslav gelegenen Fliegerhorst gefühlt alle 10 Minuten donnernd aufstiegen. Das war ein merkwürdiges Gefühl, denn natürlich musste ich viel an die Ukraine denken.

Auf den Dörfern wird erstaunlich viel gebaut. Überall sind Handwerker mit Neubauten beschäftigt. Die Zahl der dem Verfall überlassenen Häuser scheint geringer zu sein als zum Beispiel in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg. An einigen der Neubauten sieht man Wärmepumpen. Solarkollektoren sind hingegen die absolute Ausnahme. Und wenn ich in den letzten Tagen 2 Windräder gesehen habe, ist das viel. Entweder ist die Gegend zu windstill oder die Tschechen stehen nicht so auf erneuerbare Energie. Am Ortseingang von Caslav habe ich hier zum ersten Mal einen großen Solarpark gesehen, gleich neben einer gewaltigen überirdischen Müllhalde, die zu einem imposanten Hügel aufgetürmt war.

Das einzige Restaurant an der Strecke in Nove Dory war leider geschlossen. Aber immerhin hatte ein Café geöffnet, in dem ich eine große Kanne Schwarztee bekam und drei kleine Törtchen.

Hier findet man übrigens an jeder Ecke, auf jedem kleinen Platz Heiligenbilder, Pestsäulen, Kruzifixe. Die Kirchen und Kapellen sind fast durchweg saniert. Seume hätte wie damals vor 200 Jahren wohl auch heute zu klagen angesichts der fortwährenden visuellen Machtdemonstration der Kirche.

Seume schreibt zu meiner heutigen und gestrigen Strecke:



"Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir durch Kolin und durch die Gegend des Schlachtfeldes gingen . Daun wußte alle seine Schlachten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen, und Friedrich erfuhr mehr als einmal das gewaltige Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er bei Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine zweite Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von Kolin bis Czaßlau kam mir sehr angenehm vor; vorzüglich geben die Dörfer rechts im Tale einen schönen Anblick. Die vorletzte Anhöhe vor Czaßlau gewährt eine herrliche Aussicht, rechts und links, vorwärts und rückwärts, über eine fruchtbare mit Dörfern und Städten besäete Fläche. Mich deucht, es wäre hier einer der besten militärischen Posten, so leicht und richtig kann man nach allen Gegenden hinabstreichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der Fleck nicht irgendwo in der Kriegesgeschichte steht. Nicht weit von Kolin aß ich zu Mittag in einem Wirtshause an der Straße, ohne mich eben viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer eigenen sehr gemischten Stimmung, nicht ohne einige Wehmut, unter den furchtbaren Szenen der Vorzeit; da tönte mir aus einer Ecke des großen finstern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach magische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin saß an einem helleren Fenster uns gegenüber und trocknete sich die Augen, und ein junges, schönes Mädchen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit Mienen und Worten sanft zuzureden. Ich verstand hier und da in der Entfernung nur einiges aus der Ähnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weißt, ehemals etwas zu lernen genötigt war. Die Empfindung bricht bei mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität allmächtig hinreißt. Ich helfe wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein goldhaariger junger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und ihre eigentümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den eigentlichen Namen nicht nennen; am ähnlichsten war es der Russischen Balalaika"

Meine Pension habe ich in Caslav direkt am Markt. Preiswert und gut übernachte ich hier für ca. 30 € inkl. Frühstück. Draußen ist jetzt um 19 h allerdings noch permanenter Autolärm. Eigentlich hatte ich auf gute tschechische Küche gehofft. Aber rund um den Markt gibt es nur Pizza, Asiatisches und Döner.


Auf dem Markt von Kolin

Tag 13 Von Kolin nach Caslav

13.September 2022, 26 km bis km 354,8

Feld mit verdorrten Sonnenblumen. Beim ständigen Gehen in der freien Natur, nimmt an selbige insgesamt intensiver wahr. Vor allem Geräusche und Gerüche.