So zog ich denn aus der Stadt und fand mich bald auf einem schmalen Waldweg. Hier drang der Regen nur mäßig durch die Bäume. Auf den Feldern hatte ich das Glück durchgehend asphaltierter Wege.
Während ich vor einigen Tagen noch nach Schatten suchte, um eine Pause zu machen, hielt ich heute angestrengt nach einem überdachten Bushäuschen Ausschau. Nach fünf Kilometern die erste Rast. In der überdachten Bushaltestelle von Potehy standen noch drei weitere Leute mit mir, die mich aber keines Wortes würdigten.
Auf jeden Fall wollte ich heute den kürzesten Weg, die stark befahrene Fernstraße, vermeiden. Als ich sie das erste Mal kreuzte, sah ich, dass sie auch hier weder Fuß- noch Radweg hat.
Nach fünf weiteren Kilometern das nächste Dorf. Wieder eine Bushaltestelle. Die Leute, die ich sehe, sind alle beschäftigt. Sie fahren mit Autos herum, pressen mit dem Traktor den Silageberg neben der Straße, lärmen mit Hämmern und Winkelschleifern hinter halb offenen Haustüren. Hunde kläffen wie immer. Ansonsten ist es still, nur der Regen trommelt leise auf meinen Schirm.
Wenn ich so durch ein Dorf gehe, denke ich: könnte nicht eine schöne Frau aus einer der Haustüren schauen? Mich freundlich hereinwinken auf einen Tee auf einem weichen Sofa, mir vielleicht die Schultern massieren….? Eine Blondine, die mich mit ihrem Cabrio überholt, stehen bleiben und einladend den Wagenschlag öffnet? Nein, Blondine lieber nicht, und Cabrio auch nicht.
Stattdessen schlurft die Fette in schwarzen Jogginghosen und Hoody mit pinken Plastiklatschen um die Ecke, die Kippe in der Hand schaut sie bedeutungsvoll wichtig an mir vorbei und kreischt in ihr Handy.
Jetzt habe ich ein Bett in einem reichlich öden Zimmer, in dem es noch nach frischer Farbe und gerade ausgepackten IKEA-Möbeln riecht, kein Stuhl, kein Tisch. Also werde ich mal einen Büro- und Füßeerholnachmitttag machen, im Bett. Alles zum Trocknen ausgebreitet. Wenn ich morgen den Bürotag wieder rauswandern will, muss ich 36 km schaffen. Vermutlich bei anhaltendem Regen, obwohl es jetzt draußen aufklart, wahrscheinlich ist das Wasser alle über mir.
Zeit, mal nachzurechnen, wie es um Seumes Marschierleistung steht. Per heute habe ich knapp 350 km hinter mir. Seume schrieb am 9.12.1801 aus Dresden und war am 26.12.1801 in Wien. Leider erwähnt er offenbar nicht alle Übernachtungsorte, auch wird nicht klar, wie lange er z.B. in Dresden und Prag weilte. Auch der Disput in Budin mit einem jüdischen Kaufmann wird wohl ein Zeichen dafür sein, dass er dort übernachtete, also gut 50 km vor Prag, welche er dann an einem einzigen Tag marschierte. Nehmen wir an, er hat bis Dresden drei Tage gebraucht. Dann wären er und seine Freunde in etwa so schnell gewandert wie ich. Von Dresden bis Wien sind es 420 km, aber nur dann, wenn man den kürzesten Weg nimmt, den Seume jedoch nicht nahm, denn er wanderte von Prag zunächst gen Osten. Gehen wir also von mindestens 460 km aus. Zieht man von dem Zeitraum vom 09. bis 26. Dezember wenigstens einen Tag ab, den er in Prag verbrachte, kommt man auf 15 Wandertage. Das wären dann ca. 30 km pro Tag. Bis dahin ein plausibler Wert.
Ein weiterer Regentag. Auf Asphalt bleiben die Schuhe trocken, wenn man Stulpen trägt.
Tag 14 Von Czaslav zur Raststätte bei Oracevice
14. September 2022, 12 km bis km 366,8
Felder über Felder, irgendwo am Horizont ein Dach. Manchmal, wenn die Erde nicht all zu nass ist, laden sie zu Abkürzungen ein. Ein Vorteil, wenn man im Herbst unterwegs ist.