Heute Morgen bin ich mit gut kurierten Füßen losgelaufen. Zunächst ging es durch einen äußeren Stadtbezirk von Prag, dann dachte ich, nachdem ich ein großes Kraftwerk und verschiedene Industrieanlagen passiert hatte, ich sei schon außerhalb der Stadt. Doch auch nach 18 Kilometern standen auf den Nummernschildern an den Häusern immer noch Hinweise, dass ich mich in Prag 9 befände. Offenbar hat die Stadt erhebliche Eingemeindungen vorgenommen.

Die meiste Zeit lief ich heute parallel zu einer Bahnstrecke, teilweise direkt neben dem Bahndamm. Es war ein gut ausgebauter Weg, Spaziergänger und viele Radfahrer waren unterwegs.

In der Nähe eines Bahnhofes habe ich in einer kleinen Ausflugsgaststätte etwas zu Mittag gegessen. Vor dem Haus standen Bänke und an einer großen Luke war Selbstbedienung angesagt. Bedienung - das waren die Kinder des Chefs. Sie nahmen die Bestellungen entgegen und nannten mir den Preis. Als ich den älteren Jungen fragte, ob er mir den Preis auch auf Englisch nennen könne, brüllte der Vater aus der Küche: „Hier wird Tschechisch gesprochen!“ ich habe bezahlt und blieb stehen, als der brüllende Vater dann doch noch auf Englisch rief, ich müsse mich ein wenig gedulden, „some minutes“. Etwas später kam die Tochter mit einem Stück Pappe auf denen zwei Scheiben Brot lagen. Den gegrillten Käse, den ich bestellt hatte, hatte der versierte Vater einfach in seiner Verpackung in die Mikrowelle gelegt. Von Grillen keine Spur. Beim Öffnen der Verpackung floss mir dann ein weitgehend geschmolzener alter Ziegenkäse entgegen, den ich aufs Brot tropfen ließ.


Zu Gast bin ich heute bei Jiri K., dem Bruder von Jan K.. Er ist ebenso wie sein Bruder ein wirklich herzlicher und freundlicher Mensch. Als er mich an der Haustür empfing, meinte er, er müsse mir eine unangenehme Nachricht überbringen: seine Frau liegt mit Grippe Symptomen danieder, es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass sie sich mit Corona infiziert hat. Wir haben dann eine Weile beraten, wie wird das am elegantesten hinbekommen. Letztlich wurde ich in einer Etage des Hauses isoliert mit Bad und WC im Keller, während Jiris Frau in der oberen Etage verblieb. Jiri hat mir dann das Essen nach unten gebracht und wirklich ganz zauberhaft improvisiert. Denn neben dem Coronaverdacht, galt es noch damit klarzukommen, dass das Ganze auf einer Baustelle stattfindet. So legte er Kabel und stellte mir einen Verteiler hin, damit ich in meinem Zimmer Licht und Lademöglichkeiten habe, denn aus Sicherheitsgründen war während der Baumaßnahmen der Strom in meiner Etage abgeklemmt.

Nach dem Essen kamen dann die drei älteren seiner fünf Kinder in einen leerstehenden Raum. Die Europakarte wurde auf dem Boden ausgebreitet, eine Lampe wurde an die Decke gehangen, und ich erzählte auf Englisch über Seume und seine und meine Reise. Zwei der Kinder sprachen wirklich gut Englisch, so dass kaum übersetzt werden musste. Zum Dank für so viel Aufmerksamkeit habe ich dann noch drei meiner „Zaubertricks“ vorgeführt, kleine physikalische Experimente. Es war ein lustiger Abend.

Jetzt bin ich innerlich ganz gerührt. Wer hätte mir wohl in Deutschland Quartier gegeben, ohne mich jemals gesehen zu haben, mit fünf Kindern und einer kranken Frau im Haus, welches zur Hälfte Baustelle ist? Es lebe Europa und es lebe die einfache Menschlichkeit!



Wege entlang von Bahnlinien haben den Vorteil, dass sie oft die kürzesten sind. Östlich von Prag.

Tag 11 Von Prag bis Czesky Brod

11.September 2022, 34 km bis km 297,7

Gegen Mittag lande ich auf einem Volksfest.

Am Abend vor Czesky Brod. Die Architektur der Häuser erinnert zuweilen an Vororte von Leipzig.