Sessa ist auch ein kleiner Geheimtipp und mein Quartier war sehr schön. Es ist ein total verschlafenes Städtchen mit Amphitheater und einer Kathedrale mit romanischen Ursprüngen. Die krummen hohen Gassen lassen einen leicht die Orientierung verlieren. Und so irrte ich denn ein wenig herum, als ich der Kathedrale noch einmal einen Besuch abstatten wollte.

Mein Weg begann an einer kleinen Pforte auf der Stadtmauer und hatte zunächst einen recht steilen Abstieg. Es ging hinab in eine Schlucht mit einer alten Brücke, zwei Bögen, kein Geländer und oben nur ein schmaler gepflasterter Weg. Bei der Brücke war ein kleiner Wasserfall und das Wasser im Bach nahm offenbar auch Abwässer auf, denn es hatte einen trüb blauen Ton und müffelte etwas.

Kurz nach der Brücke kam ich an eine reichlich verfallene Kapelle, die halb in den Felsen gebaut war. Drinnen waren einige Fresken, aber leider alles verwahrlost und ungeschützt. Dass das schon die Felsenschlucht war, von der Seume schrieb, ist eher unwahrscheinlich, denn vermutlich nahm er die Straße, die irgendwo im Tal vor Sessa verlief.

Die neue Via Appia musste ich unfreiwillig auch nehmen, denn der von Komoot empfohlene Weg endete in heillosem Dickicht, nachdem es zunächst mit einem schönen Ausblick auf Sessa durch Olivenhaine ging.

Aber hinter Cascana wurde es wieder nett, wenn auch recht schlammig. Ich ging von da fast den ganzen Tag über Feldwege und kleine Straßen kreuz und quer. Und tatsächlich ging es auch durch tief geschnittene Hohlwege zwischen Tuffsteinfelsen hindurch. Hat Seume solch einen Weg gemeint, als er schrieb:

Als wir den Morgen auswanderten (von Sessa – ep), ward meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das folgende große Dorf bestände aus lauter Räubern und Mördern, welche die Passage von Montagne Spaccate zu ihrem Tummelplatz machten. Jeder Windstoß durch das Gesträuch erschreckte ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichen an dem Felsen befestigst sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe, ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er faselte von lauter Mariohlen, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute sein sollten und von denen er erschreckliche Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte er, man wüßte nicht, woher sie kämen und wohin sie gingen, sondern nur was sie täten; sie plünderten und raubten und schlügen tot wo sie könnten; gingen zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und verschwänden, ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen sie meistens aus den Bergen von Abruzzo. Ich habe nun freilich zur Schande der Regierung gefunden, daß der Mensch ziemlich recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll, daß ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen mit seinen erbärmlichen Litaneien; wenn ich totgeschlagen werden sollte, so wollte ich mich doch wenigstens vorher nicht weiter beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor, und mir seine Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu bringen; und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir aus der Gegend heraus waren.“

Die Käfige mit den Schädeln habe ich nicht gesehen, wohl aber sind noch zahlreiche Banditen unterwegs: die entsorgen offenbar ganze LKW-Ladungen an Bauschutt und Sperrmüll entlang der Wege und Feldraine und bevorzugt auch in den Schluchten der Bäche, die mir ab und zu begegneten. Das ist einfach unglaublich schlimm hier.

In Carinola habe ich in einem kleinen Lädchen Käse gekauft, Erdnüsse und Gebäck, das unseren Pfefferkuchen ähnlich ist. Das war mein Glück, denn das Restaurant in meinem Quartier hat heute geschlossen. Und morgen hätte ich 10 € extra zahlen sollen, wenn ich kein mickriges italienisches Frühstück haben will, sondern was Richtiges.

So wie das Wetter war auch die Route heute schön. Eidechsen raschelten durchs Gesträuch. Es gab Grapefruit, Orangen und Mandarinen für den Wanderer reichlich zu pflücken. Mal sah ich schneebedeckte Gipfel in der Ferne, mal im Grau die Kontur des Vesuv.

Seume war genervt vom ständigen Barock. Hier immerhin mit schönen Stühlen. Man wird so zugeschüttet mit dem Protz, dass man kaum noch in die Kirchen gehen mag. Cathedrale Peter und Paul in Sessa.

Tag 89 Von Sessa Aurunca nach Francolise (Quartier auf Farm)

24. November 2022, 13 km bis km 2.303

In der verfallenden Kapelle

Ich mag solche alten verwachsenen Wege.

Efeu klettert auf den Hochspannungsmast. Die Reconquista der Natur.