Hinter San Lorenzo konnte ich die Straße verlassen und stieg einen Weg ins Tal, der immer schmaler wurde, und schließlich einen Pfad bildete, der sich den Platz mit einem Bach teilte, welcher wohl noch vom gestrigen Regen gespeist wurde. Ich ging durch eine Schlucht aus Sandstein. An den Seiten waren immer wieder kleine Höhlen in den Fels geschlagen, die wohl eine Art Nekropole bildeten, als hier noch die Via Amerina, eine fast verschwundene Römerstraße verlief, die ich wohl heute ab und zu benutzte. Die eigentliche bekannte Nekropole liegt allerdings weit nördlich meines heutigen Weges. Ich habe natürlich nur mangelnde Ortskenntnis. Aber ich folgte einem hier ausgewiesenen Wanderweg, teilweise auch einem Pilgerpfad, an dem sich immer wieder Hinweise auf die Via Amerina fanden. Teilweise hatte der Weg auch eine kastenförmige Aussparung in den Felsen, es gab steinerne Stufen und sichtbar behauene Steine.
Mein Bach, der zugleich mein Pfad war, mündete, wie zu erwarten, in einen deutlich größeren Bach, den der Regen auch hatte anschwellen lassen. Mir blieb nichts anderes übrig, als diesen mit beherzten Sprüngen an flachen Stellen zu durchwaten. Zum Glück hatte ich meine Schuhe vorgestern ordentlich mit Silikonspray behandelt. Dann ging es auf schmalen Pfaden wieder bergauf, das Kraut am Weg hat mich reichlich durchnässt. Dann war ich wieder auf meiner Fernstraße.
Kurz vor Nepi gibt es einen aufgelassenen Steinbruch für Tuff. Vor der Altstadt, die auf einer Bergkuppe thront, verläuft ein imposantes Aquädukt aus dem Jahr 1727, das wohl früher die Stadt und die benachbarte Festung mit Wasser versorgt hat.
Und Seume?
„Nepi könnte ein gar herrlicher Ort sein, wenn die Leute hier etwas fleißiger sein wollten: aber je näher man Rom kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen Segens, die durchaus wie Fluch aussehen.“
Ja, es ist ein herrlich entspannter, unaufgeregter Ort. Hier hätte ich gern zu Mittag gegessen. Aber als ich kurz vor 12 in einem Restaurant vorstellig wurde, erntete ich nur ein müdes Lächeln. Vor 13 h wird da nichts serviert. Geöffnet war gleichwohl.
Verlässt man Nepi in nördliche Richtung kann man noch einen imposanten Wasserfall betrachten, der sich neben der Festung ins Tal stürzt. Hier hat mir wohl der gestrige Regen ein ordentliches Spektakel verschafft.
Hinter Nepi stieg ich wieder eine steile Schlucht hinab. Und wieder kletterte ich über schmale nasse Pfade durch enge Felspassagen, bis ich wieder auf einem Plateau mit Feldern und Olivern stand. Die Formationen erinnern ein wenig an die Sächsische Schweiz. Oft sind die Tritte nur einen Schuh breit. Immer wieder gingen mir einige Zeilen aus Gothes „Mignon …Kennst Du das Land…“ durch den Kopf:
„Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut:
Kennst du ihn wohl?
Dahin! Dahin
Geht unser Weg; o Vater, laß uns ziehn!“
Es gibt eine tolle Interpretation von Hans Eckehard Wenzel, mein heutiger Ohrwurm.
Vor Monterosi teilte ich mir den Weg ab und zu mal mit Schafen, dann hatte ich einen kleinen Irrweg um einen neuen Solarpark zu nehmen. Endlich stand ich aber an einem großen Kreisverkehr. In der Bar nebenan kaufte ich mein Busticket und war schon eine halbe Stunde später in einem Vorort von Rom, wo ich in die Stadtbahn stieg. Seume hat es mir erlaubt, denn auch er wanderte von hier nicht weiter, zumal alles in Autobahnen untergeht.
„Hinter Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, daß ich mich notwendig in seinen Wagen setzen mußte, wo ich einen stattlich gekleideten Herrn fand, der eine tote Ziege und einen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte.“
Ich betrat die Stadt wie Seume, denn ich kam mit der Stadtbahn bei der Piazza Popoli mit dem Volkstor an.
„Am Volkstore, denn durch dieses fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der Bitte: Qualche cosa della bona grazia pella guardia. So so; das fängt gut an: ich mußte wohl einige Paoli herausrücken. Da hielten wir nun vor dem großem Obelisken, und ich überlegte, nach welcher von den drei großen Straßen ich auf gut Glück hinuntergehen sollte.“
Von da hatte ich vorbei an der Spanischen Treppe nur noch einen kurzen Weg in mein erstaunlich preiswertes Hotel.
Die alte Via Amerina mit ihren Nekropolen
Tag 79 Von Civita Castellana nach Rom über Nepi und Monterosi
Die Altstadt von Nepi
Und wieder enge felsige Schluchten. Wie in der Sächsischen Schweiz.
Endlich in Rom. Ich fühle mich fremd in all dem Massentourismus. Laufe mit meinem Rucksack herum wie ein Alien.