Bei Seume kommt Otricolo kaum besser weg als Spoleto:
„In Otrikoli , einem alten schmutzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich gegen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem Tore höflich in ein Wirtshaus, und ich trug kein Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an das Feuer zu pflanzen.“
Und zu der Gegend, die ich heute durchquerte und morgen weiter durchqueren werde, schreibt er:
.“Jenseits der Berge vor und hinter Ankona, bei Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch noch reich und schön, und in den Bergen waren die Szenen romantisch groß und zuweilen erhaben und furchtbar. Man vergaß leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die Bevölkerung wird immer dünner und die Kultur mit jedem Schritte nachlässiger.“
Zu Civita Castellana schreibt er:
„Der Ort ist fast rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich sind. … Von Borghetto her führt eine alte Brücke über eine wilde, romantische Felsenschlucht, und nach Nepi und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut, welche das Beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe.“
Heute bin ich über eine Brücke gegangen, deren Vorgängerbau auch unter Pius errichtet worden war, die Ponte Felice über den Tiber. Der führte viel grünlich schlammiges Wasser. Und den Weg dahin bildete wieder die Via Flavinia. An dieser stand mitten auf einem Feld ein Denkmal für Papst Urban den VIII., der im 17. Jahrhundert wirkte. Das korrespondiert mit Seumes Klage über zahlreiche Ehrenmale für Päpste, die er entlang seiner Strecke fand. Kurz nach der Querung des Tiber und der Eisenbahnlinien sieht man die Ruine auf dem Rocca di S. Leonardo.
Den von Seume beschriebenen imposanten Einmarsch nach Civita Castellana erlebte ich auch, allerdings erst nach einigen Kilometern durch die neuen Viertel der Stadt. Die Brücke über die Schlucht ist wirklich beeindruckend.
Heute bin ich wieder im Mittelalter gelandet, in einer kleinen Ferienwohnung in der Altstadt. Das hat immer den Vorteil, dass ich mir mein Essen selbst machen kann (Schwarzbrot und Käse aus der Kaufhalle) und vor allem Tee kochen kann. Zum Thema Tee hatte ich heute Morgen im Hotel wieder ein typisch italienisches Erlebnis. Als ich den Frühstücksraum betrat (als vermutlich einziger Gast des Hotels), nahm ich eine kleine Porzellankanne aus dem Regal und streute Teeblätter hinein. Dann kam eine Angestellte, die leider nicht besser Englisch konnte als ich Italienisch. Ich bat sie, heißes Wasser in die Kanne zu gießen. Sie fragte nochmal: „heißes?“. Und ich antwortete „Si, perfavore super kaldo!“ Nach einer Weile kam sie wieder und hatte heiße Milch in die Kanne gefüllt, offensichtlich, weil es sich um eine Milchkanne handelte. Sie schaute mich irritiert an, als ich lachte. „Aqua! Aqua!“ rief ich. Sie ging mit der Kanne davon, ich hörte die Espressomaschine zischen und wusste schon, was mich erwartet: heißes, aber keineswegs kochendes Wasser, in das ich zerknirscht einige Teeblätter streute. Schrecklich.
Das Stadttor von Otricolo
Tag 78 Von Otricolo nach Civita Castellana
Ein Papstdenkmal am Absaufen.
Die Brücke über den Tiber. Bald bin ich in Rom!
Schöne Landschaft, unangenehm zu gehende Straße