Eigentlich war für heute wechselhaftes mildes Wetter angesagt, und so hatte ich das Quartier für die nächste Etappe in Marino schon gebucht. Ein Fehler, denn jetzt sitze ich in einem etwas verqualmt riechenden Zimmer. Als erstes habe ich das Fenster aufgerissen. Aber draußen qualmt es auch: die abendlichen Kaminfeuer verbreiten Feinstaub, den ich mal irgendwann schön fand, der mir aber in Italien etwas auf die Nerven geht, weil die Italiener in jeder Stadt abends anfangen zu kokeln. Ich habe das Fenster nach kurzer Zeit wieder zugemacht, denn es ist kalt geworden und ich heize brutal mit der Klimaanlage, die auch „warm“ kann. Ich habe unterwegs leider keine Gelegenheit gehabt, etwas zu Essen zu kaufen. Für den Gang ins 500 m entfernte Restaurant fehlt mir die Energie. Gibt es halt Trockenbrot mit Erdnüssen. Tee ist schon gemacht, nur sind leider auch die Schokoladenreserven erschöpft. Meine Gastgeberin ist Tanzen gegangen und war schon etwas hippelig, als ich hier gegen 16.30 h ankam. Für morgen wollte sie mich in ihre Wandergruppe einladen: es geht auf der Via Appia nach Rom! „Tolle Strecke!“ sagte sie.

Ja, weiß ich. Und die Strecke ist wirklich toll. Eigentlich eine der schönsten Etappen meiner Reise, und ich habe mich auf ein Wiedersehen gefreut, denn vor Jahren lief ich den größten Teil der Strecke schon mal mit Gattin und jüngstem Sohn.

Während es anfangs nur nieselte, haben mich unterwegs ein paar fette Regengüsse genervt. Beim ersten saß ich zum Glück unter dem Dach einer Bar. Später konnte ich mich nur gegen dicke Pinienstämme lehnen, wenn das Wasser „horizontal“ kam. Ja, es war sehr windig heute, fast wie auf den Kämmen des Böhmischen Mittelgebirges. Mein rechter Fuß zickt immer noch, hoffe, er nutzt die Pause morgen an meinem Ruhetag. Morgen wird es auch wieder regnen, erst für übermorgen zeigt die Wettervorhersage wieder eine Sonne.

Aber Schluss mit Jammern. Immerhin gab es heute viel zu sehen. Die ersten 5 km der Via Appia sind allerdings enttäuschend, da ist sie eine schnöde, heftig befahrene Landstraße zwischen hohen Mauern. Dann jedoch kommt man an den Katakomben vorbei, die natürlich von der Kirche für einen Märtyrerkult in Beschlag genommen sind. Schließlich lässt die Dichte pompöser zeitgenössischer Villen hinter Mauern und Toren etwas nach. Die Mauern neben der Straße werden niedriger, und man sieht quasi alle 50 m irgendein Denkmal, Mausoleum, Grabhügel, Reste von Palästen und Tempeln und massenhaft verstreut liegende behauene Steine, Säulenfragmente usw. Das Ganze eingerahmt in eine Allee schöner Pinien und heute sogar schöner Wolken.

Immer wieder kommt die historische Pflasterung aus der Antike zum Vorschein. Nur selten kreuzen andere befahrene Straßen. Nur nebenan dröhnen die Flugzeuge, wenn sie vom dortigen Flughafen starten. Irgendwann ist die Via Appia nur noch ein halb zugewachsener Wanderweg.

Die Via Appia Nuove, die Seume im Unterscheid zu mir vor 200 Jahren ging, ist hingegen eine vierspurige Straße, die für Fußgänger unpassierbar ist.

Die Via Appia im Stadtgebiet von Rom.

Tag 80 Von Rom auf der Via Appia bis Marino

19. November .2022, 23 km bis km 2.172

Die meiste Zeit läuft man wie durch einen Park.

Die Ruinen wurden oft brutal zur Gewinnung von Baumaterial ausgeschlachtet. Fast schon wieder Kunst.

Kameras überwachen das Gelände. Es gibt einfach zu viel an Geschichte auf engstem Raum. Wo sonst auf der Welt ist das so?