Aber zur Strecke. Zunächst lief ich über Wald- und Feldwege, da waren ganz schnell Stiefel und Hosenbeine nass vom Gras. Die Stulpen überzuziehen, hatte ich nicht die Nerven, am Anfang ist man frisch, läuft sich warm, und will erst mal Kilometer machen.
Dann ging es bei Uhry an einem gigantischen Öldepot vorbei (das zentrale Öllager Tschechiens), ein leider etwas unübersichtliches und gefährliches Stück Straße entlang, und schon kletterte ich im Wald eine Pfad nach oben. Rechts vom Weg dann eine Mülldeponie …. Nein, der Weg /Pfad durch den Wald war ganz nett, und ich hatte auch den Nässeschutz um Schuhe und Waden gepackt. Schon befand ich mich auf dem Plateau des Flusstals der Moldau. Nach einer reichlichen Stunde ging es einen halsbrecherisch steilen Pfad ins Tal und ich sah die Moldau vor mir, herrlich grau im Regen…
An einem kleinen Bahnhof habe ich Rast gemacht. Den hatten die Bürger von Nelahozeves zum Kindergarten umgebaut. Lauter kleine Eisenbahner/innen werden da erzogen.
Von da lief ich die ganze Zeit flussaufwärts an der Moldau. Ein wunderbarer Weg bei schönem Wetter wäre es gewesen. Ich jedoch musste ständig wählen zwischen nass werden vom Regen oder vom Schweiß. Schließlich habe ich meinen kleinen Regenschirm hervorgekramt, und das war die richtige Entscheidung. Das Teil ist winzig und wiegt nur ca. 100 g. Aber um Kopf und Kamera ein wenig vor der Nässe zu schützen, perfekt. Über dem Rucksack ist ohnehin eine Art Überzieher, die Schuhe sind unter Stulpen wenigstens halb geschützt.
An der Fähre bei Libice musste ich die Moldau überqueren. Dort schoss mir der Schreck in die Glieder, denn die Fährboote lagen am anderen Ufer und weit und breit war kein Mensch zu sehen. In einem winzigen Häuschen studierte ich den Fahrplan, und siehe da, pünktlich zur Abfahrzeit bestieg der Fährmann am anderen Ufer das Boot und warf den Motor an. Jetzt wäre alles perfekt gewesen, wenn am Ziel der Überfahrt auch noch die Kneipe geöffnet gewesen wäre, denn vor mir lagen etliche Kilometer ohne Siedlungen.
So ging ich denn immer dicht am Ufer des Flusses nach Süden. Die Moldau hat hier zahlreiche Staustufen mit kleinen Wasserkraftwerken und Schleusen. Der Uferweg ist teils ein schmaler Pfad, von dem rechts eine steile Böschungsmauer zum Wasser abfällt. Nichts für unsichere Spaziergänger.
Dazu wurden für mich Pommes und ein Stück panierter Käse in die Fritteuse geworfen, alles gut. Nur Stiefel und Socken konnte/wollte ich nicht ausziehen, was für eine perfekte Pause dringend notwendig ist. Aber vom Regen war sowieso alles klamm, da hätte auch kurzzeitiges Lüften nichts genützt.
Keiner der Anwesenden hat mich auch nur eine Silbe nach woher und wohin gefragt. Stattdessen starrte alles in den großen Monitor, auf dem Holland gerade von Finnland im Basketball besiegt wurde. Das ist ein wenig schade, dass die Leute hier so verschlossen oder skeptisch oder misstrauisch sind.
Fast die ganze Zeit bin ich in den letzten beiden Tagen ausgewiesene tschechische Wanderwege gegangen. Aber entweder wird in Böhmen weniger gewandert, oder die Tschechen setzen Hochgebirgskonditionen voraus. Oft sind selbst die markierten Wege in einem schlechten Zustand. Nirgendwo auch nur eine Bank außerhalb der Ortschaften, von Unterständen ganz zu schweigen, oft geht es durchs Dickicht. Ebenso rar sind Tafeln mit Wanderkarten am Weg.
Je näher ich auf Prag zukam, desto höher die Frequenz von Radfahrern, Läufern und Skatern auf dem nun besser werdenden, asphaltierten Weg. Und auch die Dichte kleiner Kioske nahm zu. An einem solchen hielt ich und bekam einen schwarzen Tee. Ich trug meine Banderole mit den Flaggen der zu durchquerenden Länder. Das junge Paar war neugierig. Als ich jedoch von meinem Spendenprojekt für die Ukraine erzählte, wurde deren Englisch auf einmal schlechter. Man stehe eher auf der Seite der Russen, erfuhr ich, man habe einige russische Freunde. Die habe ich natürlich auch, aber unter meinen russischen Freunden liegt die Oligarchinnenquote definitiv bei null. Ich erklärte: Putin wird diesen Krieg verlieren, dafür will ich einen bescheidenen Beitrag leisten, er darf auf keinen Fall gewinnen. Was sie denn da anders sähen als ich? Konnten sie mit ihrem schlechten Englisch nicht erklären… Ich redete dennoch weiter, von den jüngsten Erfolgen der ukrainischen Armee, von dem Versuch der Russen, „Freiwillige“ aus Gefängnissen und der Psychiatrie zu rekrutieren. Nun ja. Ich habe mich mit einigen russischen Sätzen verabschiedet, sie lächelten und wünschten alles Gute.
Kurz vor Prag gab es wieder eine Schleife der Moldau abzukürzen. Diesmal folgte ich. Es ging einen Pfad steil nach oben, dann stand ich schon am Stadtrand auf einer Wiese mit ländlicher Bebauung. Dann wieder einen Pfad steil herab, durch eine Plattenbausiedlung, dann wieder auf einen Hügel und diesmal stand ich auf einer Wiese, die ein faszinierendes Panorama der Stadt im Abendlicht bot.
Jetzt gibt es Ruhetage in Prag, Zeit für Datensortierung, Bilder und Texte. Meine Füße haben es dringend nötig. Es gab auf der letzten Etappe dann doch zwei kleine Blasen, auch wenn die Schuhe nicht reiben oder drücken, es ist einfach die starke Belastung. Claudia, meine Frau, hat für uns in Prag ein kleines Apartment gebucht. Es gibt eine Waschmaschine. Und meine liebe Gattin hat mir noch einige Dinge mitgebracht. Ebenso wird sie Teile meins Gepäcks, z.B. ein schweres Stück Seife, mit nach Berlin nehmen.
Heute wollte ich ein wenig Mittagsschlaf machen, aber mein Körper scheint noch voller Adrenalin zu sein. Mir ist immerzu warm, weil ich mich offenbar an kühle Luft gewöhnt habe. Fieber ist es definitiv nicht.
Die Moldau bei Kraalup in strömendem Regen
Tag 8 Von Chrzin nach Prag
8. September 2022, 38,6 km bis zu km 263,6
An der Fähre bei Libice
Gleich geht es steil bergab. Tschechische Wanderwege sind zuweilen nicht ganz ohne.