Nach dem Frühstück fuhr mich Ivan zu exakt dem Ort, an dem er mich am Abend zuvor abgeholt hatte, an den Rand des Dörfchens Keblice. So musste ich meinen Grundsatz, die Seume-Route am Stück zu wandern, nicht aufgeben.

Heute wurden es bei schwülwarmer Luft 27 Grad. Nach einigen Kilometern über wenig befahrene Straßen gelangte ich an den Fluss Ohri (Eger). Ich folgte einem kleinen Pfad am Ufer durch eine fast urwaldartige Landschaft. Der Fluss fließt sehr ruhig und breit in natürlichen Mäandern. Das Ufer ist gesäumt von umgestürzten Bäumen. Der Boden war feucht nach dem gestrigen Regen, aber die Wege nicht glitschig, die Luft voller Insekten. Das ist gewiss ein Vorteil des Wanderns im September: nach einem trockenen Sommer bleiben auch die Wege in der Flussaue gut passierbar.

In Budyne nad Ohri gedachte ich Seume. Er war hier im Wirtshaus, führte aber auch einen philosophischen Disput mit einem jüdischen Kaufmann. Wie er es von diesem Städtchen an einem Tag bis Prag geschafft haben will, ist mir ein Rätsel, denn das sind gut 50 km.

Nach dem Verlassen des Flusstales bestand die Landschaft fast nur aus flachen endlosen Feldern. Sie ist hier so dünn besiedelt wie in Sachsen-Anhalt. Dementsprechend hatte ich Mühe, in den wenigen Dörfern, die ich passierte, Menschen zu finden, die bereit waren, meine Wasserflasche immer wieder aufzufüllen. Hätte ich mich am Morgen beim Bäcker nicht ordentlich mit Vorräten eingedeckt, wäre ich in einige Schwierigkeiten gekommen. Dorfläden gibt es nur selten. Den einen, den ich gestern besuchte, fand ich von einem vietnamesischen Händler betrieben. Er hatte eine gute Auswahl an kleinen Packungen mit Nussmischungen, meine Rettung.


Schön war die Begegnung mit Hanka, die in einem winzigen Weiler mit ihrer Familie wohnt. Sie gab mir Wasser, und wir konnten auf Englisch einige Worte wechseln. Meine Visitenkarte nahm sie, und inzwischen sind wir auf Instagram vernetzt, wo sie mir seit dem unzählige Likes gönnt.

Leider gibt es an den Feldwegen keinen Strauch, kaum einen Baum. Die Obstversorgung ist also eher schwach, die mit Schatten auch.

Übrigens hatte ich bisher keinerlei Probleme mit streunenden oder freilaufenden Hunden. Davor hatte mich ein Freund gewarnt und dringend geraten, einen großen Regenschirm oder Knüppel mitzunehmen, daher u.a. auch mein Wanderstab. Jan K. wiederum riet dazu, einen Stein aufzuheben, oder zumindest die entsprechende bückende Bewegung auszuführen, das hätte in den Karpaten stets zur Flucht der Hunde geführt. Nun ja. Gebellt wird viel, aber immer schön hinter den Zaun.

Kurz vor dem Ziel bin ich quasi einem Gewitter davongelaufen. Es gab gigantische Wolken über dem flachen Land, die der Wind glücklicherweise vor mir davontrieb.

Quartier fand ich in einer sehr preiswerten Pension mit Dusche und WC eine Treppe tiefer über den Hof. Das macht dann noch mal 50 € in den Topf für die Ukraine. Die Chefin warf ein paar Spaghetti mehr in den Topf und ließ mich so – wenn auch an einem anderen Tisch – am Abendessen der Familie teilhaben. Wieder eine kleine freundliche Rettung.



Das Gewitter blieb weit weg. In der Ebene ein schöner Anblick.

Tag 7 Von Keblice nach Chrzin

7. September 2022, 33,4 km bis km 225

Felder im Böhmischen Mittelgebirge

Entlang der noch sehr ursprünglichen Eger