Heute früh ein kleiner Schock: Portemonnaie weg. Alles vergeblich durchwühlt, dann schoss es mir siedend heiß durch den Kopf. Gestern war ich auf einem Dorf in einer Postfiliale und habe ein Päckchen nach Hause geschickt. Darin die Hülle für meinen Roller, denn den darf man im TGV nicht unverpackt transportieren. Sehr hilfsbereite Frau am Schalter, die mir geduldig das Formular erklärte. Draußen vor der Filiale habe ich mein Telefon und mein schönes gelbes Portemonnaie auf den gelben Briefkasten gelegt, während ich mein Gepäck sortierte. Telefon ist da. Aber habe ich das Portemonnaie (gelb auf gelb) liegen gelassen? Auf Google Maps schaue ich nach, welche Postfiliale das gewesen sein muss. 15 km von hier, und bis Montag geschlossen. Während dessen überlege ich, wie und wo ich mit Telefon überall bezahlen kann, welche Karten alle gesperrt werden müssen, ob man mit gesperrten Karten auch per Telefon bezahlen kann (vermutlich nicht), ob ich eine neue Bahncard nach Leipzig an die Firma liefern lassen kann, wie dringend der Besitz eines Ausweises ist …usw. Und wie es mir gehen wird, wenn ich jetzt noch mal zu der Filiale fahre (macht 30 km extra bei geplanten 42 insgesamt). Auch wenn die Post zu ist, hat ja vielleicht jemand das gelbe Stück abgegeben, vielleicht weiß im Dorf jemand, wo die Frau von der Filiale wohnt. Andererseits: mein Portemonnaie ist voller Visitenkarten mit meiner Telefonnummer. Warum hat keiner angerufen? Der etwas schäbig aussehende Typ, der nach mir die Filiale betrat – hat er einen guten Tag gehabt mit 50 €? Aber ich will nichts unversucht lassen. Was bliebe mir anderes übrig? Fluchend setzte ich meinen Rucksack auf und stelle fest: mein schönes gelbes Portemonnaie steckt in der kleinen unauffälligen Tasche am Beckengurt. Uffffff…

Aber trotzdem war ich jetzt zeitig auf der Piste, und fasste so immerhin noch einige regenfreie Stunden ab. Aber das Fahren war mühsam. Mit 5°C war es richtig kalt heute Morgen. Ich freute mich über meine Fahrradhandschuhe, die ich mir spontan noch in Berlin gekauft hatte. Die wärmten jetzt immerhin ein wenig bei den Fahrten bergab. Da mach ich auch mal über 50 km/h, wie mir eine der Geschwindigkeitsmeßtafeln an einem Ortseingang mit zornigem Smiley bescheinigte. Aber bergab wollte der Roller heute nicht so recht rollen. Ich hatte etwas Gegenwind und der Straßenbelag der D 3 bestand aus einer Art aufgeklebtem Splitt, er war nicht wirklich glatt, sonder eher etwas holprig. Man glaubt nicht, wie stark sich der Untergrund auf das Rollen auswirkt, wenn man auf einen gut rollenden Roller angewiesen ist. Und eine nasse Straße vermindert auch den Grip des abschiebenden Fußes. Gegen 10 h, der Verkehr hatte leider deutlich zugenommen, erreichte ich Epernay.

Das ist eine größere Stadt, die auch bei Seume Erwähnung findet. Offenbar ist die D3 die alte Poststraße. An einem einzeln stehenden Haus fand ich auf halber Strecke eine interessante Tafel: dort haben Emissäre der Pariser Regierung die königliche Familie getroffen und (1792) zurück nach Paris gebeten. Es ist also anzunehmen, dass dort die Straße verlief, die Seume wohl aber nicht benutzte. Definitiv war er nicht auf dem noch weiter nördlich liegenden Marneradweg unterwegs.

Gegen 10.30 h saß ich dann in einem hippen Restaurant und hatte ein gutes Brunch. Mir gegenüber saßen an einem Tisch sechs junge Damen aus den Niederlanden. Ich frage mich, was Leute aus einer Biernation hier in diesem Kaff wollen. Aber Epernay ist die Hauptstadt des Champagners. Allein Moet hat hier 100 km (!) Stollen in die Kalkhänge gehauen. Vielleicht machen die Damen ja eine Weiterbildung. Eine Hochschule gibt es hier (ca. 22.000 Einwohner) wohl nicht.

Ich musste ein wenig die Zeit totschlagen, denn in mein Quartier konnte ich (nach einem entsprechenden Antrag) erst um 15 h. Also verließ ich die Brunch-Location erst weit nach 12 h.

Aber der Regen hatte nachgelassen. Ich fuhr dann fast die ganz Zeit am Marne-Seitenkanal entlang. Und tatsächlich gab es dort einen perfekt ausgebauten Radweg. So war ich viel zu zeitig am Quartier. Aber Denis hat mich überaus herzlich empfangen. Er betreibt eine kleine Herberge für Pilger und das ganze Haus war mit einem Kamin wunderbar geheizt.

Ich habe geduscht und ein paar Klamotten gewaschen, dann traf Domenico ein. Er ist ein Wanderer aus Italien, der den Pilgerweg von Canterbury nach Rom geht. Er ist noch ganz analog mit einem Wanderführer unterwegs und telefoniert gerade um sein nächstes Quartier klarzumachen. Auch er ist vom Regen heute ordentlich mitgenommen worden. Nachher wollen wir zusammen kochen bzw. unsere Vorräte ein wenig teilen.

Wie so oft: der Tag begann mit einem Schrecken und endet besonders schön.

Und was schrieb Seume über die Gegend:

Den zweiten Tag trennte sich der Weg, und ohne weitern Unterricht schlug ich die Straße rechts ein, war aber diesmal nicht dem besten Genius gefolgt. Sie war sehr öde und unfruchtbar, die Dörfer waren dünn und mager, und es ward nicht eher wieder konfortabel, bis die Straßen bei Chalons wieder zusammenfielen. Ich verlor dadurch einen großen Strich von Champagne, und die schönen Rebhühneraugen in Epernay, auf die ich mich schon beim Estest in Montefiaskone gefreut hatte. Das liebe Gut, das man mir dort in den Wirtshäusern unter dem Namen Champagner gab, kann ich nicht empfehlen.

Demzufolge ist er nicht durch Epernay gekommen und eventuell weiter südlich marschiert. Das kann auch erklären, warum der die Marne nie erwähnt. Aber wo er genau lang ging wird sein Geheimnis bleiben.

Heute bin ich die erste Hälfte des Tages Straße gefahren. Und hier, kurz hinter Dormans, war sogar noch ein wenig Sonne zu sehen. Damit war dann nach 9 Schluss.

Tag 4 Von Dormans bis Conde sur Marne

04. Mai 2024, 42,3 km bis km 180,4

Zschüss, Epernay. Vor dem Bau der neuen TGV-Strecke war hier einmal ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt.

Auf einer Brücke am Canal lateral du Marne.

Eine der vielen genieteten Eisenbrücken über den Kanal. Alles aus dem 19. Jahrhundert.

Oft stehen riesige Getreidespeicher wie Burgen im Land. Hier am Ufer des Kanals.

Der Kanal und die Marne (hier bei Tours sur Marne) sind häufig nur durch einen schmalen Damm getrennt. Es gibt zahlreiche Schleusen. Aber offenbar war der Kanal leichter schiffbar. Jetzt sieht man nur noch einige wenige Sportboote, ab und zu Angler.

Das Ortszentrum von Conde sur Marne. Links das Haus meiner Gastgeber.