Mit viel Rückenwind ging es über die Dörfer nach Weimar, immer wieder mit dem Blick zum Ettersberg und dem Mahnmal des KZ Buchenwald.
In Weimar habe ich vier glückliche Jahre verbracht, bis es mir dann genug war mit Beschaulichkeit und den ewigen Klassikern, und ich leichten Herzens nach Berlin ging. Aber ich bin immer mal wieder gern hier, Freunde besuchen, Museen anschauen, Spazierengehen. Und so nahm ich kurz nach 11 im „Resi“, meinem alten Lieblingslokal, Platz für ein zweites Frühstück. Das „Resi“ ist und bleibt eine Institution mit Stil. Bei aller Auswahl, die ich in Berlin habe, ich fand dort bisher nichts wirklich Vergleichbares. Gewiss viel Anderes, Schönes auch, aber kein „Resi“.
In Weimar machte auch Seume Station. Er stand ja mit vielen Vertretern der Weimarer Klassik in Kontakt.
„In Weimar freute ich mich einige Männer wiederzusehen, die das ganze Vaterland ehrt. Der Patriarch Wieland und der wirklich wackere Böttiger empfingen mich mit freundschaftlicher Wärme zurück. Die Herzogin Mutter hatte die Güte mit vieler Teilnahme sich nach ihren Freunden diesseit und jenseit der Pontinen zu erkundigen und den unbefangenen Pilger mit Freundlichkeit zu sich zu laden. Jedermann kennt und schätzt sie als die verehrungswürdigste Matrone, wenn sie auch nicht Fürstin wäre.“
Von Weimar nahm Seume den „Weg durchs Hölzchen“, das ist heute ein kleines Waldstück bei der Tiefurter Allee, längst mit Häusern bebaut. Ich verzichtete also auf ein Stück Ilmradweg und stieß auf diesen erst wieder einige Kilometer flussab. Da schönes Wetter war und die Unterkunft günstig, bin ich bis Bad Sulza durchgefahren. Wo auch immer genau – auf dem Weg nach Naumburg hatte Seume noch eine kleine militärische Begegnung:
„Als ich den andern Morgen durch das Hölzchen nach Naumburg herüber wandelte, begegnete mir ein Preußisches Bataillon, das nach Erfurt zog. Wenn man in dem nämlichen Rocke mit der nämlichen Chaussüre über Wien und Rom nach Syrakus und über Paris zurückgegangen ist, mag der Aufzug freilich etwas unscheinbar werden. Es ist die nicht löbliche Gewohnheit unserer deutschen Landsleute, mit den Fremden zuweilen etwas unfein Neckerei zu treiben. Die Soldaten waren ordonnanzmäßig artig genug; aber einige Offiziere geruhten sich mit meiner Personalität ein Späßchen zu machen. Ich ging natürlich den Fußsteg am Busche hin, und der Heereszug zog den Heerweg. Einer der Herren fragte seinen Kameraden in einem etwas ausgezeichneten pommerischen Dialekte, den man auf dem Papier nicht so angenehm nachmachen kann: Was ist das für ein Kerl, der dort geht? Der andere antwortete zu meiner Bezeichnung: Er wird wohl gehen und das Handwerk begrüßen. Nein, hörte ich eine andere Stimme, ich weiß nicht was es für ein närrischer Kerl sein mag; ich habe ihn gestern bei der Herzogin im Garten sitzen sehen.“
Tja, die Neckereien mit den Fremden. Nachdem ich gestern schon die miefige Seite Thüringens konstatieren durfte, fiel heute in einem Gespräch ein bemerkenswerter Satz: Ein Leistungssportler mit dunkler Haut, den es von Erfurt zufällig nach Wien verschlug, erklärte, er werde auf keinen Fall nach Thüringen zurückkehren. Bitter. Und ich denke an die Kolleginnen und Kollegen in Leipzig, an unser kleines Team, das sich aus neun verschiedenen Nationen gebildet hat. Wir dürfen die blaubraune Soße nicht dulden. Und: es ist einfach, den Faschismus zu erklären, wie er sich zeigt, wenn er etabliert ist. Viel komplexer ist die Frage danach, wie er scheinbar so unbemerkt und plötzlich emporkommen kann. Und das ist glaube ich das eigentlich gefährliche: die Protagonisten im Alltag machen lassen, reden lassen verbal wie nonverbal. Das Erodieren des demokratischen Alltags durch eine Kultur des Schulterzuckens.
Kurz vor Neudietendorf. Blick auf den Glockenturm der Gedenkstätte auf dem Ettersberg.
Tag 28 Von Erfurt über Weimar nach Bad Sulza
Schloss und Anna-Amalia-Biblionthek. Weimar.
Tor zum Wieland-Gut in Oßmannstedt
Vor Kromsdorf
Dorfstraße von Wickerstedt