„Das Wetter war fürchterlich. Ich hatte gelesen von den großen gefährlichen Morästen zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzählungen bestätigten es, und sagten weislich noch mehr; so daß ich nicht ungern mit einem Vetturino handelte, der sich mir nach Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der Wagen war gut, die Pferde waren schlecht und der Weg war noch schlechter.“
Schlechtes Wetter habe ich nach wie vor nicht. Fast ist es schon zu warm. Morgens wollte ich zeitig los. Im Nebenzimmer hörte ich meine Gastgeberin husten, ich stand allein in der Küche, brühte meinen Tee von gestern in der Mikrowelle noch mal auf (kein Problem bei den Sorten, die ich trinke), fand auch einen Toaster, nahm was von dem rumliegenden Süßkram und einen Apfel, dann stahl ich mich davon.
Ich hätte bequem mit dem Zug fahren können, der geht mehrmals die Stunde. Aber dann hätte ich drei hässliche Kilometer neben der Schnellstraße zurücklaufen müssen. Also nahm ich die Straße aus der Stadt raus, die einen Fußweg hatte. Als ich eine Bushaltestelle passierte, stellte ich fest, dass der nach Bologna erst in knapp zwei Stunden wieder fährt. Trampen war an der Stelle sinnlos, noch lief der Berufsverkehr, in dem keiner für einen Tramper hält. Außerdem sah ich auf der Karte, dass es sich um einen Autobahnzubringer in verschiedenste Richtungen handelt. Aber in dem Lärm ewig auf den Bus warten? Das wollte ich auch nicht. Was will ich auch so zeitig in Bologna, die Hotels haben sowieso erst nachmittags den Checkin. Also beschloss ich, weiterzulaufen. So kam ich in kleinere Orte, wo, so dachte ich, die Leute später auch noch irgendwo hinfahren.
Schließlich langte ich an einer Kreuzung an, perfekt zum Trampen, und gleich nebenan war die Bushaltestelle. Aber auch hier war noch eine knappe Stunde zu warten. Also: Fahne gehisst und Daumen raus. Das war ein gutes Training für die Schultern: rechts der winkende Daumen am ausgestreckten Arm, links hielt ich meinen Wanderstab mit dem gelben Schal in die Höhe.
Wenn ich ein Lächeln erntete, war das eher amüsiert bis bedauernd. Gelächelt haben vor allem die Frauen, die wohl heute aus Prinzip nicht mehr halten. Es fuhren viele erstaunlich alte Damen an mir vorüber (die meist nicht lächelten). Bei den Herren ist es so: schickes Auto? Dann kannst du den Daumen gleich unten lassen. Die haben Angst um ihre Ledersitze. Die Zeiten, da man Tramper mitnahm, um sein Auto stolz zu präsentieren, sind vorbei. Die älteren Herren gucken verkniffen geradeaus, vielleicht aus Neid. Einige zeigen böse mit dem Finger auf die benachbarte Bushaltestelle. Herren mittleren Alters deuten immerhin ab und zu an, dass sie nur ein kurzes Stück fahren oder gleich abbiegen. Wie auch immer: die Zeit, bis der Bus (mit Verspätung) endlich kam, habe ich nicht untätig verbracht.
Bologna ist ein Schock, wenn man tagelang einsam über die Felder getippelt ist. Gefühlt brandeten mir ungeheure Menschenmassen entgegen. Die Innenstadt besteht aus ewig langen Arkaden. Man läuft immer im Schatten und drängelt sich ab und zu um die unvermeidlichen Tische vor den Restaurants. Alles ist sehr mondän und zugleich doch sehr alt. Gerade bei den Stadttoren muss ich immer an Seume denken. In Bologna hatte ich Schwierigkeiten, ein halbwegs bezahlbares Hotel zu finden. Für den eigentlich morgen geplanten Ruhetag ist mir die Stadt zu teuer. Das Phänomen, dass ab Mittag die Hotelpreise stiegen und viele Hotels – vor allem die preiswerten – schnell ausgebucht waren, hatte eine Ursache: in Italien ist ein wichtiger Feiertag. Das hatte ich übersehen.
Aber immerhin hatte ich den Nachmittag für die Stadt. Ich warf kurz einen Blick in den Hof der berühmten Universität (mit Aufstellern, Schildern und Werbekram schrecklich verstellt), betrat den Dom, hatte ein nettes Gespräch in einer guten Galerie für Fotografie und kaufte schließlich in einem Kletterladen noch Socken und Einlegesohlen.
Jetzt sitze ich zum zweiten Mal auf der ganzen Reise in einem Tee-Salon (zuletzt im tschechischen Jihlava). Hier war ich schon am Mittag. Es gibt eine tolle Auswahl. Als ich diese italienische Ausnahmeerscheinung eifrig lobte, bekam der Kellner glänzende Augen.
Mein IPhone sagt, ich sei heute 26 km gelaufen. Da ist ihm wohl im Bus etwas schlecht geworden.
Mittags in Bologna. Vor guten Restaurants steht man Schlange.
Tag 61 Von Ferrara nach Bologna
Die berühmten "Zwei Schwestern". Noch vor einhundert Jahren standen dutzende solcher Türme, die militärische und klimatische Funktionen erfüllten.
Im Dom. Ich bin immer wieder überrascht, wie dunkel es in italienischen Kirchen ist. Von teils imposanten Gemälden berühmter Maler ist oft wenig zu sehen. Oder man muss eine Münze einwefen für Beleuchtung mit Zeitschaltuhr.
Hinter Ferrara ist es flach und ein wenig langweilig. Vom Bus sah ich: ich habe wenig verpasst.