Man brauch ein gutes Stück Resilienz, wenn man so reisen möchte. Es wird einem de facto im Minutentakt mitgeteilt, dass man als Mitfahrer unerwünscht ist. Mal lächelt die Person im Auto mitleidig, mal überheblich, mal geht ein stolzer Blick geradeaus, mal wird man mit offenem Mund dümmlich angestaunt, mal gibt es bedauernde Gesten, dass man gleich abbiegt, dass man nur ein kleines Stück fährt usw. Trotzdem muss man immer wieder das eigene Lächeln aufsetzen, eine straffe und optimistische Körperhaltung annehmen. Eine gute Übung, die man wenigstens einmal im Leben absolviert haben sollte.
Da es nicht so viele waren, kann ich hier über jeden/jede einzelnen/e berichten, die/der angehalten hat.
Da war zunächst die Dame in mittlerem Alter mit einem ebensolchen Auto, die anhielt, um mir zu sagen, dass sie mich nur einige Kilometer mitnehmen könnte. Das lehnte ich dankend ab, denn wenn es dort nicht weitergeht oder die Stelle schlecht ist, muss ich zurücklaufen zum Bus.
Dann hielt ein dunkelhäutiger junger Mann in schickem Hemd, gleiches Ergebnis.
Schließlich hielt eine sehr gepflegte Mitvierzigerin, sehr freundlich, und bot an, mich zur Autobahnanfahrt zu chauffieren. Auch das habe ich abgelehnt.
Der nächste Stopp war eine Frau in kleinem Auto mit dunkelhäutigem Kind auf der Rückbank. Sie bedauerte, dass sie nicht nach Foligno fährt. Aber sie bog ein auf den nahegelegenen Parkplatz und fing an, diverse Freunde abzutelefonieren, ob nicht jemand zufällig heute nach Foligno fährt. Es ergab sich aber nichts. Sie meinte, heute wollen alle ans Meer fahren, aber nicht über den Apennin. Sie versprach aber, weitere Leute zu kontaktieren und ihnen meinen Standort mitzuteilen. Wir verabschiedeten uns herzlich und ich ging zurück zu meinem Rucksack. Derartiges habe ich als Tramper noch nie zuvor erlebt.
Plötzlich hielt auf der gegenüberliegenden Fahrbahn wieder die hübsche Mitvierzigerin von vorhin. Ob es nicht gut wäre, wenn sie mich zum Bahnhof fahren würde? „Nein danke“, sagte ich, „der Zug braucht ewig, fährt ums halbe Gebirge und es sind Bauarbeiten an der Strecke im Gange.“ Tja, Schade.
Schließlich hielten zwei junge Männer in einem winzigen Citroen C1. Einer sprach sehr gut Englisch, er hat mit seinen Eltern 10 Jahre in London gelebt, wie sich später herausstellte. Sie wollten eigentlich in die Berge zu irgendwelchen Quellen, könnten mich aber ein Stück mitnehmen. Ich habe ihnen auf meinem Telefon gezeigt, an welchen Stellen mein Bus unterwegs hält, so dass ich diese Option immer noch hätte, wenn sie mich bis zu einer der Stationen mitnähmen. Damit waren sie einverstanden. Dann gab es große Gelächter, als ich versuchte, den Kofferraum zu öffnen für meinen Rucksack. Dieses kleine Auto hat zwar vier Türen, doch keinen Kofferraum.
Es war schon nach 10, als wir losfuhren. Im Auto wurde es schnell lustig, denn meine Geschichte fanden sie toll. Einer der beiden ist von London mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, nach Tolentino, dem heutigen Ausgangspunkt meiner Tagesstrecke. Wir hörten Rap aus England und Italien, die beiden rauchten und fuhren mit Rücksicht auf mich die ganze Zeit mit offenem Fenster. Aber irgendwie hatten wir ein Verständigungsproblem oder eine kleine Verwechslung. Denn die beiden fuhren mit mir abseits der Autobahn auf einen hohen Berg, nach Camerino. Dort lud ich beide noch in ein Bistro ein. Sie wollten mir noch helfen, die Bushaltestelle zu finden, aber ich habe ja mein Telefon.
Als die beiden längst weg waren, stellte ich fest, dass mein Bus never ever über dieses Kaff fährt. Die nächste sinnvolle Bushaltestelle: 10 km weg unten im Tal. Nun muss ich zu unser aller Entschuldigung sagen, dass der Bus unterwegs tatsächlich den ein oder anderen Umweg macht, um diverse Dörfer mitzunehmen.
Immerhin, ich war an einem bemerkenswerten Ort auf dem Gipfel eines Berges mit imposanten Mauern, die steil nach allen Richtungen abfielen. Also beschloss ich, auf jeden Fall die nächstgelegene Bushaltstelle anzusteuern. Es war kurz vor 12 und der Bus würde dort gegen drei sein. Ich stieg also den Berg hinab bis zur nächsten Straße. Offen gesagt erfasste mich leichte Unruhe, denn diese ging in Serpentinen, steil und mit bösen Leitplanken, ohne Fußweg versteht sich, ins Tal. Also blieb ich in der Nähe von Camerino an einer Kreuzung stehen, und versuchte es erneut mit Trampen. Ich hatte Glück, denn schon nach wenigen Minuten nahm mich eine dreiköpfige (!) Familie mit bis nach Maddalena, wo sich die vielversprechende Bushaltestelle befindet.
Das war ein merkwürdiger Ort: ein verlassenes Motel, eine große Selbstbedienungstankstelle, verschiedene Buden, eine Apotheke, eine Bar und viel, viel Asphalt. Auch eine gar nicht so schlechte Stelle zum Trampen. Ständig kamen und gingen die Leute mit ihren Autos. Ich setzte mich erst mal in die Bar und bestellte Tee und ein Stück Kuchen. Etwas herzhaftes hatte ich schon oben auf dem Berg gegessen. Dann ließ ich mir zwei Blatt Papier geben und malte mir mit meinem Edding ein schönes Trampschild: FOLIGNO. Ein solches hatte ich mir natürlich auch schon heute Morgen gemacht, allerdings auf einem Streifen Klopapier, der hielt leider nicht sehr lange.
Ich hatte noch mehr als zwei Stunden Zeit, bis der Bus fahren sollte. Also stellte ich mich wieder hin. Nach einer Weile kam ein älterer Herr zu mir und bedeutet mir, dass ich nicht optimal stünde, denn nach knapp zwei Kilometern gäbe es einen Abzweig nach Foligno. Dort würde er mich hinfahren. Na gut, dachte ich, die kann ich notfalls zurücklaufen.
Dort, wo der alte Herr mich absetzte, gab es tatsächlich einen Abzweig mit einem Wegweiser nach Foligno. Es fuhren nur kaum Autos in die entscheidende Richtung, ja es fuhren nur ganz wenige Autos überhaupt da lang. Endlich hielt ein Mann, kurbelte die Scheibe runter und redete wild gestikulierend auf mich ein. Mit meinem brillanten Italienisch hatte ich immerhin verstanden, dass es sinnlos ist, hier zu trampen, wenn man nach Foligno will, und letzteres erkannte der Herr ja an meinem Schild.
Also lief ich zurück zur Tankstelle. Der Weg ging vorbei an weiteren verlassenen Hotels und Autowerkstätten. Offenbar war das hier die alte Passstraße, die die Konkurrenz der Autobahn nicht vertragen hat. Und meine Trampstelle an der Tanke war der Rest eines ehemals florierenden Ortszentrums.
Es hielt noch mal ein jüngerer Mann, um mir zu sagen, dass er nur ins nächste Dorf fährt. Dann gab ich auf und ging rüber zur Tankstelle, wo, wie ich inzwischen gesehen hatte, diverse Busse des Regionalverkehrs immer mal hielten. Leute warteten auf dem großflächigen Areal mit ihren Autos, um Passagiere abzuholen oder hinzubringen.
Endlich, endlich – es begann schon etwas zu dämmern – kam mein Bus. Freudig stieg ich ein und bat um ein Ticket. Der Fahrer kramte in irgendeiner Liste. Dann erklärte er, Tickets gäbe es gegenüber in der Bar. Ich verzweifelte, bat um Mitleid mit einem Ausländer und hielt einen Zwanzigeuroschein hin. Der Herr blieb eisern (und unbestechlich!). Schließlich bot er an zu warten. Ich stürzte in die Bar, kam auch gleich dran am Tresen, kaufte ein Ticket und rannte zurück zum Bus.
Dann saß ich im Warmen, zusammen mit drei weiteren Passagieren. Ich zückte die Kamera und knipste in die Dämmerung, denn hier irgendwo musste Seumes Weg gewesen sein. Aber die alte Passstraße wird wohl jüngeren Datums sein. Ein einziges Relikt könnte die alte steinerne Brücke sein, die ich zufällig entdeckte.
Der Bus hielt unterwegs nur ein einziges Mal in Colfiorito, auf dem Hochplateau. Immerhin ging es ab und zu mal durch die von Seume erwähnten imposanten Schluchten.
In der Altstadt von Tolentino
Tag 73 Von Tolentino nach Foligno
Auch dieses kleine Stadttor erwähnt Seume
Meine Trampstelle am Ausgan der Stadt
Im Bus nach Foligno