Erst nach 17 h wurde es heute schön, und ich konnte auf dem kleinen Markt von Gelnhausen bei Tee in der Sonne sitzen. Ansonsten hätte man den Tag heute getrost in den Herbst verfrachten können, inklusive Westwind, der mir im flachen Terrain schöne lange Ausrollzeiten bescherte. Ich hatte also beim Fahren keinen Gegenwind. Trotzdem war es so kalt, dass ich gegen Mittag noch ein Sweatshirt unter die Regenjacke zog.

Ich fuhr zunächst nach Offenbach, dann nach Norden über Bischofsheim. Beide Orte erwähnt Seume, hat sie aber wohl nicht in der Reihenfolge besucht.

Er schreibt:

„Bei der Frau von Laroche in Offenbach traf ich den alten Grafen Metternich, wenn ich nicht irre, den Vater des kaiserlichen Gesandten in Dresden.“

Und weiter:

„Von Frankfurt aus ging ich über Bergen in Gesellschaft nach dem Örtchen Bischofsheim, wo man mir ein freundliches Mahl zugedacht hatte. Bei Bergen und Kolin haben unsere Landsleute gezeigt, daß sie nicht Schuld an den übeln Streichen bei Pirna waren. Vor Hanau ging ich vorbei und hielt mich immer die Straße nach Fulda herein. Die Hitze des vorzüglich heißen Sommers drückte mich zwar ziemlich, aber ich nahm mir Zeit, ruhte oft unter einem Eichbaume und war die Nacht mit den schlechten Wirtshäusern zufrieden. Auf meiner ganzen Reise hatte ich sie nicht so schlecht gefunden, als hier einige Mal in Hessen.“

Frankfurt, Bergen und Bischofsheim liegen fast auf einer Linie. Durch meinen Schlenker über Offenbach habe ich Bergen ausgelassen. In Bergen und bei Kolin (Tschechien) war zu Seumes Zeiten offenbar die sächsische Armee aktiv. Und bei Pirna haben österreichische Truppen fast alle Rebstöcke gerodet und verfeuert. Nicht so die Sachsen vor Frankfurt in Bergen.

Die Strecke, die ich fuhr, verlief entlang des Mains. Zahlreiche Pendler kamen mir mit ihren Fahrrädern, meistens Rennräder oder E-bikes, entgegen. Aber der Weg ist gut asphaltiert und breit. Vor Offenbach beobachtete ich einen Kohlekran an einem Kraftwerk, der gewiss mehr als 70 Jahre auf dem Buckel hatte. Erst hielt ich ihn für ein technisches Denkmal, bis ich sah, dass er in Bewegung geriet und tatsächlich Kohle beförderte.

Der Main hat Staustufen, seine Ufer sind durchgehend mit Bruchsteinen befestigt, er ist ein reiner Nutzfluss geworden. Den alten Hafen in Offenbach hat man zu einem ansehnlichen Wohnquartier umgebaut, welches in einen schönen Platz mündete. Es gibt Hoffnung!

In Rumpenheim überquerte ich den Main mit einer Fähre. Dann sah ich das erwähnte Bischofsheim. Nun ja.

Dafür entschädigte Hochstadt mit tollem Fachwerk. Klein und fein. Pause machte ich in Bruchköbel. Der Name ist leider ein wenig Programm.

Nach Langenselbold überquerte ich die A66, zu der ich parallel fuhr, und rollte dann durch die Auen des oder der Kinzig, einem weitgehend naturbelassenen Fluss. Die Einfahrt nach Gelnhausen (kurz hinter Lieblos, nördlich von Linsengericht gelegen) gestaltete sich etwas dröge. Umso mehr überraschte mich in der Altstadt reichlich Fachwerk, bestens gepflegt und scheinbar weitgehend tourismusfrei.

Hier logiere ich im Gasthaus „Zum Löwen“, das es seit ca. 500 Jahren gibt und das zu den ältesten Wirtshäusern Deutschlands zählt. Von meinem Fenster schaue ich auf das Geburtshaus von Philipp Reis, dem glücklosen Erfinder des Thelephons. Er starb mit 40 an TBC und konnte nicht mal mehr erleben, wie andere, vor allem Graham Bell in den USA, mit seiner Erfindung Millionen scheffelten. Reis war Lehrer und hatte kaum Reputation. Seine Erfindung – zugegeben noch nicht wirklich ausgereift – traf in Deutschland nur auf Skepsis, nicht jedoch auf finanzkräftige Investoren, entscheidungsfreudige Postminister. Kommt mir bekannt vor.

Gelnhausen hatte mal eine gute Zeit. Es war Kaiserpfalz, freie Reichsstadt und durch die Stadt verlief die Handelsstraße, die Frankfurt mit Leipzig verband. So ist anzunehmen, dass Seume hier auch durchging. Und Gelnhausen hat eine Synagoge, die nur deshalb in der Kristallnacht nicht abgefackelt wurde, weil sämtlich Juden schon zuvor aus der Stadt geflohen waren oder vertrieben wurden.

Ja, das schöne Gelnhausen, hat leider auf beiden Märkten Parkplätze angelegt. Und so werde ich denn am kleinen Markt sitzend, immerzu von Autos umkreist, die sich durch die winzigen Gassen quälen, immerzu die Vorfahrt anderer beachten müssen, mühsam und laut an den steilen Einbahnstraßen anfahren, und aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht verstehe, in der wunderbaren Altstadt hin und her kurven, oder im Kreis.


Der große Markt in Gelnhausen

Tag 22 Von Frankfurt/Main nach Gelnhausen

22. Mai 2024, 47,2 km bis km 850,7
Rechts noch Brache, links schon Bürgergärten und neue Häuser. Offenbach am alten Hafen.

Die Fähre über den Main

Bischofsheim

Die Kinzig. Hinten die Ausläufer des Spessart.

Heute am Weg: ein riesiges Logistikzentrum von LIDL

Die Straße vor meinem Hotel. Links das Geburtshaus von Reis.