In Graz musste sich nicht nur mein lädierter Fuß erholen, ich musste auch meine Erkältung auskurieren. Beides ist gelungen. Die 30 km heute habe ich gut verkraftet. In Graz erst mal Bürokram, Vitaminbombe und Obst einkaufen, vergeblich nach Teeladen gesucht.

Am Nachmittag war ich dann wieder so fit (und motiviert), dass ich nach dem Einkaufen und einem kleinen Stadtrundgang auch noch ins Kunsthaus gegangen bin. Ein mutiger Bau, in dem auch Camera Austria residiert. Graz ist auf jeden Fall eine zweite Reise wert. Im September 2023 habe ich das mit meiner Gattin dann auch gemacht.

Heute früh war es noch so kalt (ca. 5 °C), dass ich doch glatt meine Pantalons (lange Unterhose) in Betrieb genommen habe und in dicker Wattejacke losgelaufen bin. Beides konnte ich einige Stunden später wieder ablegen, denn es gab komfortable 20 °C.

Man kann in Graz schon in der Innenstadt einen Weg direkt an der Muhr nehmen, und läuft damit quasi in der Senke des Flusses fernab vom Lärm der Stadt. Dabei durchquert man diverse Parks und kann beobachten, wie die Bürger versucht haben, aus dem miesen geraden Kanal, in den die Muhr hier gezwungen ist, wieder sowas wie einen Fluss zu machen. Aber allein ein paar Stadtmöbel, ein in den Kanal geschobenes hölzernes „Sonnendeck“ und ein wenig Standbarschnickschnack oder gar Versuche von Häfen reichen da nicht. Klar ist die Energie der Muhr besser auszubeuten, sind ihre Hochwässer eher zu ertragen, wenn sie in einen begradigten Kanal zwischen die Deiche gezwungen ist. Aber dann ist sie eben kein Fluss mehr, der ein wenig unberechenbar ist, sein Bett immer wieder neu formt, Mäander und Seitenarme bildet. Die Grazer nennen diese Landschaft im Süden der Stadt allen Erstes Muhraue. Aber es ist auch keine Aue mehr.

Kurz vor Großsulz hat man etwas Wasser aus der Muhr abgezweigt und durch den Wald geführt. Diese kleinen künstlichen Flüsschen sind mal über, mal unter dem Höhenniveau der Muhr und sollen den Wald wieder ein wenig mit Wasser versorgen, so dass das, was vielleicht von einem „Aowäldle“ übrig ist, nicht völlig verschwindet. Wer richtige Auenwälder erleben will, der begebe sich an die Ufer von Elbe, Mulde, Saale, Elster in die Neuen Bundesländern, wo man die Flüsse einigermaßen in Ruhe gelassen hat. Mir ging heute der Refrain von Keimzeits Lied „So“ durch den Kopf:

Las es laufen den Berg hinunter, lass es laufen ins Tal,

Gott hat dem Fluss diesen Weg gegeben, sicher tut ers nicht noch mal.

Bitte lass ihn ungestört

Das Wasser weiß selbst, wo es hingehört.


Etwa gegen Mittag ging ich durch Dörfer, die ein wenig Industrie haben und deren Infrastruktur ganz gut auf Radfahrer ausgelegt ist, denen ich heute zahlreich begegnete. Leider ist irgendwann dann Schluss mit nett, und man muss der Bundestraße folgen. Dies wird an einigen Stellen auch von Seume benutzt worden sein. Darauf deutet eine alte Postsäule, darauf deuten alte Karten zu den Dörfern, die ich auf einer Schautafel fand, und man sieht es auch an den Baujahren der Häuser, die nach wie vor die Straße, nun die Bundesstraße säumen.

Leider hat die Bundesstraße zwischen Wildon und Lebring nicht einen einzigen mickrigen Fußweg auf gut drei Kilometern. Man quält sich in unübersichtlichen Kurven an der Leitplanke dahin und freut sich, dass es noch Tageslicht gibt. Solche Passagen frustrieren mich immer besonders, vor allem, wenn es nicht einmal Hinweise im schilderbesessenen Österreich gibt für den Verlauf ungefährlicher Fußwege irgendwo weit weg (die dann natürlich auch länger sind als die Straße).

Immerhin, nach den dreißig Kilometern heute geht es den Füßen ganz gut, und die Erkältung ist überstanden.

Lassen wir zum Schluss Seume noch mal zu Wort kommen. Zu Graz schreibt er:

„Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen: die Stadt und die Leute gefallen mir. Du weißt, daß der Ort auf den beiden Seiten der Murr sehr angenehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen Anblick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist.“


Seume behauptet übrigens, er habe die Strecke von Wien nach Graz über den Semmering in fünf Tagen gemacht. Da bin ich dann doch skeptisch, denn ich war auf der Distanz (192 km) sieben Tage unterwegs, hatte dazu noch einen Ruhetag. Aber gut, Seume hat halt jeden Tag ca. 40 km bewältigt, man kann es nicht völlig ausschließen, auch wenn er selbst in Schottwien noch irgendwie pausierte, Stress mit dem Schnee hatte usw.



An der Muhr südlich von Graz

Tag 34 Ruhetag in Graz, Tag 35 von Graz nach Lebring

04. und 05.Oktober.22, 30 km bis km 883

Blick von meinem Hotelfenster auf das Museum für moderne Kunst