Bei bestem Herbstwetter und angenehmen Temperaturen bin ich heute gelaufen, so dass mir die reichlichen Straßenkilometer (immerhin stets Fußwege und ein gutes Café am Weg) nichts ausgemacht haben. Hinter Wagna folgte ich wieder der Muhr und ging mal neben, mal auf dem Deich. Auch hier diverse Staustufen und radfahrerfreundliche Infrastruktur. In zwei kleinen Buden bin ich eingekehrt.

Ich passierte Ehrenhausen am anderen Ufer der Muhr, Seume hatte dort genächtigt, ganz sportlich über die große Distanz von Graz kommend. Immerhin ging ich noch etwa 6 km weiter bis nach Slowenien. Dennoch machte er im Wesentlichen an einem Tag, wofür ich mir zwei nahm. Dafür geht es mir sehr gut, die Blasen sind abgeheilt, die Erkältung auch.

Interessant war die Passage des alten Grenzübergangs bei Spielfeld. Längst führt eine neu gebaute Straß an ihm vorbei. Um so erstaunter war ich, dass der österreichische Zoll weiter fleißig kontrolliert und das ein oder andere Fahrzeug rauswinkt.

Die Bundesstraße ist an dieser Stelle neu trassiert. Man erkennt aber Reste der alten Straße noch sehr wohl und natürlich die gesamte Infrastruktur eines Grenzübergangs. Zollgebäude, Abfertigungskomplexe mit altem Chick der achtziger Jahre, riesige Abstellflächen, zahllose Tankstellen, Raststätten, nutzlose Duty-free-Shops, Autowerkstätten, Friseure, Billigshops. All das ist nun zum größten Teil verwaist, steht leer oder wird anderweitig genutzt. Aber das Stadium des verlorenen Nutzens ist schon so weit fortgeschritten, dass die ersten Versuche, die billig zu habenden Flächen neu zu verwenden, wiederum gescheitert sind. Friseure, Lagerhäuser, Autowerkstätten sind nicht wirklich erfolgreich geworden. Nur zwei schäbige Bordelle – beide übrigens auf österreichischem Gebiet – konnten sich halten. Und es stehen zwei große Zelte nebst zahlreichen Toiletten, möglichweise geblieben aus dem Jahr 2015, als Österreich in der Flüchtlingswelle seine Grenzen schloss.



Mich erfüllt dieser Anblick mit gemischten Gefühlen. Einerseits Euphorie, weil das vereinte Europa mit dem Schengenraum all diese Strukturen nicht mehr braucht. Andererseits leichte Beklemmung, weil an dieser Stelle all das nach der Gunst der Stunde suchte, was wohl in erster Linie große und billige Flächen braucht. Aber auch Glücksritter und ihre Gewerke, die offenbar angezogen wurden. Natürlich wirkt das alles heruntergekommen. Nachts ist der Eindruck vielleicht noch düsterer, denn die gleißenden Beleuchtungen von Grenzübergängen wird es auch nicht mehr geben, kaum ein Fenster wird erleuchtet sein. Wer hier durchfährt, wird nicht auf großer Reise sein, denn dafür wurde die benachbarte Autobahn gebaut. Selbst die Eisenbahn ist nur einspurig, wenngleich die Regionalbahnen mit modernen elektrischen Triebwagen die Grenze regelmäßig überqueren. Offensichtlich sind Maribor und Graz so verbunden.

Morgen werde ich bis kurz hinter Maribor gehen, so dass ich erneut auf knapp 30 km komme. Die Details der Tour plane ich nun jeden Abend neu, weil einerseits meine alte Planung nicht mehr aktuell ist, ich auf das jeweils gefundene Quartier zurückgreifen muss, und auch Wetter und Tagesform zu berücksichtigen habe. Komoot ist an sich ein guter Begleiter. Allerdings schlägt die App mir zum Teil absurde Umwege vor, weil es da vielleicht netter ist, weil irgendjemand aus dem Schwarm der Community da mal wandern war, ich weiß es nicht. Daher heißt es: genau hinschauen, ob jeder Winkelzug Sinn macht. Prüfen, ob das Höhenprofil der Tour erträglich ist, oder ob ein Umweg durch flacheres Land eventuell doch der schnellere Weg ist. Schließlich muss ich wegen Wasser und Essen auch darauf achten, ab und zu mal eine Siedlung zu durchqueren. Und es macht Sinn – wenn die Optionen da sind – die Touren nach ruhigen Strecken durch die Natur und durch Siedlungsgebiete aufzuteilen. Oft nehme ich auch unterwegs noch kleine Justierungen vor, was mir heute einige Kilometer erspart hat, auf denen Komoot mich von der Bundesstraße weglotsen wollte. Vielleicht sollte es in der App für die Planung einen Quick-and-dirty-Modus geben für Leute wie mich, die vor allem Strecke machen wollen.


Einst ein likrativer Standort: Ladenzeilen beim alten Grenzübergang.

Tag 36 Von Lebring nach Sentilj

06. Oktober.2022, 27 km bis km 909

Wer möchte so wohnen? Und warum? An einer Landstraße in Österreich