Heute bin ich bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt losgelaufen. Meine dicke Jacke habe ich jedoch bald bereut, als ich im Supermarkt stand, wo ich mich noch schnell mit Bananen, Energieriegeln, Nüssen und Schokolade eingedeckt habe. Im Wald lief ich schon im Hemd, gegen Mittag dann nur mit T-shirt. Eine kurze Hose hatte ich selbstverständlich auch an. Kurz nach Hollerau, im eingemeindeten Dörfchen Raschala ging ich zunächst durch die „Alte Poststraße“ und fand dann tatsächlich eine Tafel, auf der erwähnt wurde, dass es sich um die Verbindung Pag – Wien handelte. Mozart soll am Rand des Dorfes zum Pissen ausgestiegen sein, als er zu einer Tournee nach Prag fuhr. Also wird auch Seume hier langgegangen sein. Die Straße nimmt zwischen alten Pressenhäusern und den Portalen der Weinkeller kaum vier Meter ein. Im Wald wurde sie dann noch schmaler, bis ein etwa zwei Meter breiter Hohlweg übrig blieb. Aber wer weiß, ob die Straße nach dem Verlust ihrer Bedeutung nicht einfach nach und nach zugewachsen ist. Auf jeden Fall lässt sich hier belegen, dass Seumes Weg hier nicht durch die Autobahn überbaut wurde, dass er so wie ich die Höhen rauf und runter marschieren musste.
Das klare Wetter bescherte mir wieder schöne Fernsicht von den Hügeln in die Umgebung. Ein Stück musste ich neben der Autobahn gehen, dann aber vor allem Feldwege, die ich noch vor drei Tagen verflucht hätte, als alles durch den Regen aufgeweicht war. Es werden hier Kartoffeln, Mais, Rüben und erstaunlich viel Kürbis angebaut. Erst dachte ich, dass Kürbis hier vielleicht als Zwischenfrucht dient, bis mir klar wurde, dass man offenbar nur an den Kernen interessiert ist. Man sieht Felder, auf denen Massen vor Kürbissen verstreut sind, dann wieder Felder, auf denen die Kürbisse in langen Reihen liegen, so dass sie von Maschinen aufgenommen werden können, und schließlich Felder, auf denen braun verfaulte Kürbisschalen den Boden bedecken.
Stockerau ist leider von Autobahnen umgeben und von gnadenlosen Verkehrsströmen durchzogen. Dabei hat die Stadt schöne Altbausubstanz zu bieten. Die billigen Quartiere waren ausgebucht, es sind viele Radfahrer unterwegs, so dass ich heute in ein nicht ganz so preiswertes Hotel einchecken musste. Aber morgen Abend bin ich in Wien und zu meinem dortigen Quartier gibt es eine besondere Geschichte.
Vor drei Jahren habe ich mir mit meiner Gattin ein verlängertes Wochenende in Wien gegönnt, und wie so oft haben wir unser Quartier über homeexchange.com organisiert. Diesmal nicht im synchronen Tausch, sondern mit „Gästepunkten“. Karl hat uns ein fantastisches Apartment zur Verfügung gestellt, aber er war gerade mit Mann in Australien und alles lief digital ab aus der Ferne mittels Schlüsselsafe und elektronischer Zugangskontrolle. Karl habe ich vor einigen Tagen geschrieben und angefragt, ob ich erneut Quartier haben darf, denn ich erinnerte mich, dass die beiden auch Gästezimmer vermieten. Leider werde ich Karl auch diesmal nicht sehen, denn er ist gerade in Amerika. Aber er hat mir für einen absoluten Freundschaftspreis ein Zimmer offeriert. Es ist fantastisch, weil die Lage einfach toll ist, das Haus auch. Schade, dass ich Karl und Co. nun immer noch nur noch aus E-mails und Telefonaten kenne. Aber ich sehe mich bestätigt in meiner Überzeugung, dass es großartig ist, wenn man sich einfach so vertraut und so auf der ganzen Welt ein kleines Netzwerk bauen kann. Also auch an dieser Stelle herzlichen Dank an Karl und Co., und durch diese schöne Geste gehen weitere 80 € in den Topf für die Ukraine.
Das ist der Blick aus einem Hotelzimmer. Ein Hotel, dass zugleich Finanzamt und Trainingslager ist.
Tag 23 Von Hollabrunn nach Stockerau
23.September 2022, 29 km bis km 597,8
Eine alte Poststraße mit zahlreichen Weinkellern.
Seumes Weg - heute eine Autobahn.