Auch heute wieder eine kurze Strecke zu Schonung des Fußes. Der Fuß erholt sich vom drohenden Ermüdungsbruch, alles wird gut. Ich habe aber auch Zeit gewonnen, so dass ich mir kurze Etappen leisten kann. Seume verschafft mir weitere Freiräume, weil er ab hier relativ viel mit dem Maulesel und der Kutsche getrampt ist. Man sagt ja immer, er sei die Strecke weitgehend gelaufen. Es kommen aber bei genauer Betrachtung mehr als 20 % der Strecke des Hinwegs nach Syrakus zusammen, auf denen er gefahren oder geritten ist. Das tut seiner Leistung keinen Abbruch, ich weiß, wovon er schrieb und ich jetzt reden darf. Der Selbstversuch hat sich auf jeden Fall schon gelohnt.

Morgen werde ich bis hinter eine Brücke über den Carigliano parallel zur Küste laufen. Von da ist Seume mit dem Maulesel bis nach Sessa geritten, ungefähr 15 km. Ich werde den Bus nehmen oder trampen. Von Capua nach Neapel ist er mit der Kutsche gefahren und auch davor ist er von einem nicht bezeichneten Ort der Einladung eines Viturio gefolgt.

„Ich setzte unter diesen Gedanken über den Garigliano (das ist ca. 15 km hinter Formia – ep), und merkte kaum, daß ich diesseits von einer Menge Mauleseltreiber umgeben war, die mir alle sich und ihre Tiere zum Dienst anboten. Da half kein Demonstrieren, sie machten die Kleinigkeit der Forderung noch kleiner und setzten mich halb mit Gewalt auf ein lastbares Stück, schnallten meinen Reisesack in Ordnung, und so zog ich mit der lieblichen Karawane weiter. … Kurz vor Sessa schieden wir: ich setzte mich von dem Esel wieder auf meine Füße.“

Von Sessa ist Seume mit einem Begleiter weiter unterwegs, den er mit „Kalabrese“ bezeichnet. Dieser hat eine panische Angst vor den in der Gegen angeblich anzutreffenden Räubern. Seume ist etwas genervt und schreibt:

„Er trieb mich immer vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu bringen; und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Entschluß; als ich mich auf der Straße von einem Vetturino bereden ließ, mich einzusetzen und mich mit ihm bis nach Kapua bringen zu lassen.“

Leider ist nicht überliefert, welche Felsenpassage gemeint ist. Wie auch immer: ich habe einen kleinen Planvorsprung, und werde diesen für kürzere Etappen nutzen.

Aber zurück zur heutigen Etappe. Itri ist eine weitere recht unaufgeregte Stadt. Gestern Abend war ich noch in einer Bar, was hier in Italien ein weit gefasster Begriff ist. Ich fragte, ob ich etwas mit Gemüse zu essen bekommen könnte. Große Ratlosigkeit bei den beiden Inhabern, zwei jungen Männern. Schließlich schlug man mir vor, mir eine Art gefüllte Pizza zu machen mit Käse und getrockneten Tomaten. Dazu gab es Craftbeer aus der Region. Die Jungs erklärten dann ausführlich, dass alle Zutaten meines Essens lokal erzeugt seien und referierten zu jeder Zutat den Hersteller. Etwas ähnliches passierte mir dann heute noch mal beim Frühstück. Da gab es von der Chefin gebackenen Kuchen und der Juniorchef klärte mich ebenfalls über die Herstellung des Käses auf, den er servierte, dass der Saft von regionalen Plantagen stammt usw.

Seume schreibt zu meiner letzten Station:

„Itri war von den Franzosen häßlich mitgenommen worden. Man hatte die Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus gemacht. Das ist nun freilich nicht sehr human; von Religiösität nichts zu sagen. Der Ort liegt in einer Bergschlucht tief begraben.“

Hinter Itri geht es ein wenig auf der Via Appia, die hier Regionalstraße ist, dann kann man diese nach rechts auf eine Nebenstraße verlassen, die angenehm durch Gärten und Olivenplantagen führt. Wieder eine Gelegenheit, den Obstbedarf unterwegs zu decken.

Auf halber Strecke wird man dann aber erneut für einige Kilometer von der Via Appia genervt. Hinter einem imposanten Eisenbahnviadukt, das ich aus der Ferne für ein Aquädukt hielt, geht es zwischen Zementwerken hindurch wieder auf kleine Straßen, bis man auf die Küste stößt. Seume wird auch hier die Via Appia gegangen sein, die heute Fernstraße ist, was mir einen Umweg bescherte. Insgesamt komme ich zu der Erkenntnis, dass ich womöglich mehr Kilometer gegangen bin, als Seume, weil dieser einfach immer die kürzeste Strecken nehmen konnte, wie eben z.B. die Via Appia, die heute an vielen Passagen schlicht nicht mehr als Fußgänger zu benutzen ist.

Formia, das zur Gemeinde Gaeta gehört, diese Bezeichnung nutzt Seume häufiger, ist eine typische Urlauberstadt. Die Strände sind abgesperrt, mit Buden zugebaut und auch hier von heftiger Erosion betroffen. Mit Baggern hat man Sandwälle errichtet, die wohl wenig nützen werden, wenn der nächste Sturm kommt. Aber immerhin gibt es nicht so eine Masse an Betonburgen, wie ich sie bei Rimini fand. Alles ist etwas kleinteiliger. Leider besteht die Stadt aus zwei stark frequentierten Durchgangsstraßen, an deren einer ich mein Quartier habe.

Hinter Itri ein Zementwerk an der Straße. Landart für Kenner.

Tag 86 Von Itri nach Formia

25. November 2022, 12 km bis km 2.315

Aufgelassenes Viadukt vor Formia

Am privatisierten Stadtstrand in Formia

Straße in Formia