Der Weg hierhin: Wolken, Felder, Wälder, Regen, Wind, Schlamm. Alles durchaus schön anzusehen. Aber immer in Regenzeug und mit Gamaschen und schweren wasserfesten Stiefeln – das nervt. Nun schon der fünfte Tag. Immerhin hat der Wind nachgelassen, gegen Mittag kam so viel Sonne raus, dass ich zumindest die Regenjacke mal für ein Stündchen im Rucksack verstauen konnte. Vorgestern habe ich einen Seume-Ort leider nur aus der Ferne passiert. Stannern, Seume lobte es wegen seiner Textilmanufakturen. Es liegt an der anstrengenden M 38, die ich in diesem Bereich leider umgangen bin, so dass der Ort weitab meiner Route lag.
Und wieder war alles weitgehend menschenleer. Nix warmes zu essen, abgesehen vom Frühstück.
Aber es gab eine lustige Unterbrechung dieser Tristesse: in Gesice Myto, als ich wieder mal die Pseudoautobahn M 38 zu kreuzen hatte, winkt mir doch aus dem Bushäuschen gegenüber ein schräger Vogel zu. Bunt wie ich, mussten wir gleich beide lachen. Mein Alter Ego ist mit dem Liegerad von irgendwo aus dem Süden auf dem Heimweg nach Prag. Das Rad hat er hinten mit Kisten behangen, na klar, für seinen Fotokram. Wir haben uns kurz über das Reisen ausgetauscht, er konnte ganz gut Englisch. Ich gab ihm meine Karte, dann zog / fuhr jeder seiner Wege.
Hier sind die Dörfer nicht mehr ganz so schick wie in der Umgebung von Jihlava. Aber es bleibt der Eindruck: hier passiert mehr für die Landbevölkerung als in z.B. Brandenburg oder Sachsen-Anhalt. Das beginnt bei super gepflegten Nebenstraßen, Kolonnen von Gärtnern, die in den Dörfern auf den öffentlichen Flächen den Rasen mähen. Es gibt sehr oft schöne Sportanlagen und oft auch das „Kulturny Dom“, das Kulturhaus. Und die Kirchen sehen natürlich auch gut aus. Und das, obwohl hier nur ca. 11% der Bevölkerung einer der Kirchen angehören. Wer weiß, vielleicht verbiegt Prag da die Statistik. Übrigens fallen mir bis auf die Jungs vom Dönerladen kaum Muslime auf. In den größeren Orten hängen ab und zu ukrainische Flaggen an Fenstern und an den Rathäusern. Ansonsten hält das Land bezüglich Migration wohl eisern die Türen zu, was ich nicht für gut befinde, und was nichts mit dem Zustand der Dörfer zu tun hat.
Da die Geburtenrat bei 1,7 liegt, also etwas höher als in Deutschland (1,4), sieht man in der Öffentlichkeit deutlich mehr junge Eltern. Kindergärten gibt es in jedem zweiten Dorf, man sieht aber auch viele Großeltern mit Kindern tagsüber. Die Bevölkerung Tschechiens wächst wohl jährlich um 0,2%. Ob das aber mit einer generell steigenden Lebenserwartung oder Netto-Zuzug zusammenhängt, weiß ich nicht. Heute sah ich in einem Dorf zwei Kleinstkinder (so um die drei, beide mit Schnullern im Mund) in der Nähe eines Spielplatzes und auch in der Nähe der Straße einfach so unbeaufsichtigt herumlaufen. Zufall?
Obwohl ich heute wieder nur 23 km gemacht habe, meckert der linke Fuß. Morgen soll das Wetter schöner werden, dann kann ich die leichteren Schuhe anziehen. Hoffentlich. Die kommenden Tage sind mit 23 bzw. 31 km nicht ganz so heftig. Jiri aus Czesky Brod hat mir in Znaim noch einen Kontakt über drei Ecken gemacht, einen ambitionierten Wanderer (u.a. bis Rom). Der Herr wollte mir sogar Quartier anbieten. So treffen wir uns aber vielleicht zum Mittag, wenn ich die Stadt quere, in der ich nach alter Planung eigentlich heute übernachten wollte.
Gefühlt endlose Waldwege. Man genießt die Stille, um sich schon wieder auf die Begenung mit Menschen zu freuen. Das wechselt einander ab.
Tag 20 Von Nové Syrovice nach Kraskov
20. September 2022, 23 km bis km 515,8
Für mich gibt es bei einer Landschaft immer ein "Oben" und ein "Unten". Manchmal ist das Oben aufregender als das Unten.