Geht man in Palermo vom Hafen Richtung Innenstadt, hat man das Gefühl, die Verwahrlosung hat eine weitere Stufe erreicht. Aber hinter dem alten Theater, das leider mit Buden für eine Regionalmesse zugestellt war, wird es etwas mondäner. Von der Oper bis zum Bahnhof erstreckt sich eine fast 2 km lange Fußgängerzone, die offenbar erst vor kurzem ausgeschildert wurde. Hier gibt es teils prächtige Bauten aus dem späten 19. Jahrhundert. Ein Höhepunkt ist die Fontana Pretoria, ein beeindruckender Brunnen an einem schönen Platz.
Am Bahnhof erreichte ich den Zug kurz vor acht, der über eine vollständig elektrifizierte Strecke nach Agrigent fährt. Seume ist diese Strecke auf dem Maulesel geritten, daher gönnte ich mir auch dieses Stück Komfort. Der Zug fährt erst entlang der Küste durch Vororte und an einer großen Raffinerie vorbei nach Osten. Dann biegt er nach Süden ab. Die Bahnstrecke folgt hier weitgehend Seumes Route, erklimmt die Höhenzüge der Insel, die sich am Morgen noch voller Nebelbänke präsentierten. Der Zug war wenige Stationen hinter Palermo kaum noch mit Passagieren besetzt. Die Gegend ist dünn besiedelt, die Berge fast durchgehend kahl. Das Wandern wäre hier kein leichtes Unterfangen geworden, auch wenn die Landschaft schön ist. Das Problem wäre die Versorgung mit Lebensmitteln unterwegs und die Suche nach Unterkünften gewesen.
Obwohl Bauarbeiten und Verzögerungen angekündigt waren, kam der Zug pünktlich in Agrigent an. Wie auch in Palermo ist der dortige Bahnhof gut in Schuss.
In Agrigent bin ich nicht gleich losgelaufen, sondern habe noch eine Runde durch die Altstadt gedreht, auch um eine Kleinigkeit zu essen. Agrigent ist sehr sauber und durchaus sehenswert. Die Stadt liegt auf einer Anhöhe, es gibt zahlreiche Treppen und kleine Gassen. Aus der Stadt heraus Richtung Osten kann man auf einer sehr schönen Promenade laufen, von der man auch den kleinen Hafen sieht. Seume hat diesem außerhalb der Stadt liegenden Hafen einen Besuch abgestattet. Darauf hatte ich keine Lust, genug Hafen in den letzten beiden Tagen.
Von dieser Promenade zweigt der Weg ab und zu mal in schöne Grünanlagen ab, von denen man später auch Tempelruinen in der Ferne sehen kann. Schließlich ist man hinter dem Friedhof im Bereich der alten Stadtmauer aus griechischer Zeit, als die Vorläuferstadt abseits des heutigen Agrigent noch existierte. Der Weg führt durch einen kleinen Wald talwärts, und plötzlich sieht man vor sich eine recht gut erhaltene Tempelruine auf der Kuppe des Berges. Es ist der2.500 Jahre alte Juno-Tempel, der mit dem Zeus gewidmeten und weiteren kleinen Tempeln hier das Tal der Tempel bildet. Er wurde von Goethe und vielen anderen Italienreisenden besucht und von Caspar David Friedrich, der nie in Italien war, gemalt. Vor allem die landschaftliche Lage der Ruine ist faszinierend.
Seume erwähnt all diese Ruinen nicht, obwohl sie von den umliegenden Hügeln und Tälern immer wieder zu sehen sind und diverse Zeitgenossen extra dorthin gereist sind.
Mein Weg führte dann ein Stück über die Bundesstraße und schließlich über viele kleine Nebenstraßen und Wege durch schrecklich zersiedeltes Gebiet. Es ist einfach unglaublich, wie planlos einfach auf irgendwelche Parzellen Mehrfamilienhäuser oder Siedlungen aus dem Betonmischer kleckern. Es gibt keinerlei Infrastruktur, weder Bushaltestellen noch Läden. Mein Gastgeber warnte mich noch im Laufe des Tages, dass ich, ohne Auto reisend, mir unbedingt etwas zu Essen mitbringen müsse.
Tatsächlich habe ich Bed and Breakfast inmitten von Plantagen gebucht. Aber mein Gastgeber brachte einen Beutel Orangen für mich mit, frisch gepflückt, und gab mir noch einen Wasserkocher für Tee. Es war heute so wunderbar warm, dass ich in kurzen Hosen und T-Shirt noch eine Weile auf der Terrasse vor meinem Zimmer sitzen konnte, mit Blick auf Palmen und das Meer in der Ferne.
Ein Montagmorgen im Hafenviertel von Palermo
Tag 96 Von Palermo nach Agrigent mit der Eisenbahn, Villagio Mose
Mit dem Zug durch die Berge nach Agrigent
In der Altstadt von Agrigent
Beim Tal der Tempel