Heute Morgen habe ich vor dem Abmarsch noch den letzten Rest des Silikonsprays aus der Flasche gelassen. Es wollte und wollte nicht aufhören zu regnen. Einen weiteren Tag im Hotel in Gloggnitz wollte ich aber auf keinen Fall verbringen. Das ist ein Bau, der die letzte größere Renovierung im Jahre 1976 gesehen hat. Ein Paradies für Fans der 80iger Jahre: alles ist braun, beige, gelb, dunkelbraun. Der Erfinder von Eiche rustikal hat hier offenbar mehrere Wochen getobt, um dem Stil zum Durchbruch zu verhelfen. Ihm gelang ein homogenes Stilensemble. Plastikblumen, aber nur zwei Steckdosen im Zimmer, davon eine im Bad. Bett mit Brett für die Füße (der Hass aller größeren Menschen) und maschinengeschnitztes Kruzifix über dem Bett. Aber was will man machen: der Inhaber ist ein netter gutmütiger Kerl, der mit mir noch den heutigen Weg besprach, und aufmerksam meinem Seume-Schnellkurs lauschte. Also: nichts verändern und warten, bis der Denkmalschutz vorbeikommt!
Zu Gloggnitz kann man auch wieder nur sagen: wie Gronau. Immerhin, den empfohlenen Bahnwanderweg habe ich nur in kleinen Portionen genommen, denn er wich in großen Trapezen der geraden Linie der Bundesstraße aus, brachte mich aber nicht schneller durch den Regen.
Tatsächlich kam ich in Schottwien vorbei, daher jetzt das Seume Zitat des Tages:
Es hatte zwei Tage ziemlich stark gefroren und fing heute zu Mittage merklich an zu tauen; und jetzt schlagen Regengüsse an meine Fenster und das Wasser schießt von den Bergen und der kleine Fluß rauscht mächtig durch die Gasse hinab. Mir schmeckt Horaz und die gute Mahlzeit hinter dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich."
Die schöne Landschaft, die Seume beschreibt, blieb mir jedoch weitgehend verborgen hinter Nebelschwaden und Regenwolken. Oben auf dem Pass erinnert ein Denkmal an den Bau der ersten Passstraße im Jahre 1728. Es dürfte wenig Zweifel geben, dass Seume diese Straße nahm, deren genauer Verlauf mir aber zu ergründen nicht möglich war. Gleichwohl war ich sicher, ab und zu auf dieser Straße oder der überbauten Trasse gegangen zu sein.
Der Abstieg vom Pass war dann geprägt vom Lärm der Autobahn, wenn diese aus dem Tunnel hervorkam. Ich ging am Rand der nicht zu stark befahrenen Bundesstraße und vermied die von Komoot vorgeschlagenen erbaulichen Verlängerungen. Das war vermutlich auch gut so, denn ich musste feststellen, dass große Teile des Gebietes neben der Straße komplett abgesperrt sind. Es wird nämlich der Semmering-Basistunnel gebaut und an einer der großen Baustellen mit einer riesigen Schutthalde geförderten Gesteins kam ich vorbei. Noch Kilometer später war die Straße mit grauem Staub eingefärbt von den LKWs, die den Abraum wegfahren.
Dieser neue Eisenbahntunnel soll die jetzt noch vorhandenen großen Steigungen der Bahnlinie vermeiden. Bei Güterzügen sieht man regelmäßig zwei Lokomotiven vorgespannt, was gewiss zu Problemen führt, wenn die z.B. vor und hinter dem Pass an- und abgekoppelt werden müssen.
Am Ortseingang von Mürzzuschlag fand ich auch noch einen der Kanäle zum Bereitstellen von Wasserkraft. Seume lobte die damalige Industrie. Der Kanal endete in imposanter Höhe auf einem Betontrog vor einem gar nicht so alten Fabrikgebäude.
Aufstieg zum Semmeringpass kurz vor Schottwien. Hinter der Kruve könnte das Haus gestanden haben, in dem Seume übernachtete.
Tag 29 Von Gloggnitz nach Mürzzuschlag über den Semmering-Pass
Motivierender Blick aus dem Hotelfenster am Morgen
Die alte Passtraße ist wenig befahren und einigermaßen romantisch. Hier wird Seume definitiv langgegangen sein.