Der Lärm ist als Belastung nicht zu unterschätzen. Im Alltag sind wir ihm meist nur kurze Zeit ausgesetzt, wenn wir bei einem Spaziergang eine Autobahnbrücke überschreiten, z.B. Aber ansonsten sitzen wir in Zimmern, Restaurants, gehen durch Läden und überall sind wir einigermaßen vom Verkehrslärm abgeschirmt. Selbst wenn wir im Auto sitzen, ist dies eine schallgeschützte Umgebung.
Aber wenn man tagelang sechs Stunden ungeschützt diesem Schalldruck ausgesetzt ist, spürt man, wie zerstörerisch das sein kann. Bitte bei Gelegenheit mal den Selbstversuch machen. Wie bei anderen Giften auch, merken wir die Wirkung nicht, solange die Dosis klein ist. Aber die Menge und die Dauer führen uns dann doch, oder oft nur dann, vor Augen, dass Gift eben ein Gift ist. Ich habe hier also an manchen Tagen den Lärm-Overkill. Aber wir alle, blenden aus, dass auch die tägliche geringe Dosis zerstörerisch ist.
Mein Auge leidet da weniger, denn ich habe ein Herz für die Vorstädte mit ihren verzweifelten Wohlstandsversprechen, ihren sichtlich gescheiterten Träumen aus alten und neuen Gewerbeobjekten. Den immer wieder versprochenen Hoffnungen auf Schönes.
Immerhin hatten wir den größten Teil der Strecke – im Unterschied zu gestern – Fußwege. Mein Highlight war ein Autofahrer, der von der rechten Spur kommend auf dem Rand der linken Spur hielt, das Fenster herunterließ und begeistert nach dem woher und wohin fragte. Ich habe das kurz erklärt, und dann mein Kärtchen rübergereicht. Wenig später schrieb er mir.
Lucio ist mit mir inzwischen über die sozialen Medien verbunden. Von ihm erfuhr ich später, dass er, nachdem ich ihm meine word-Datei mit dem Seume Text geschickt hatte, diese ins Italienische übertrug. Allen Lehrerinnen und Lehrern in seinem Freundeskreis hat er ans Herz gelegt, den Text zu lesen und über Seume im Unterricht zu sprechen.
Und auch gestern hielt ein Auto neben uns an, um nach den Umständen des Wanderns zu fragen. Die Italiener sind einfach unglaublich, was ihre Offenheit anbelangt. Auch unterwegs und in den Cafés wollen viele Menschen mehr zu dem Projekt wissen.
Was für mich die Vorstädte, waren für Alexander, meinen temporären Begleiter, die Kulturgüter. In Conegliano ist er voraus gegangen, um ja genug Zeit zu haben für den Dom (der innen eher schlicht ist, aber ein berühmtes Gemälde birgt, Cima de Conegliano) und das Fresko von Francesco da Milano (1511). Schön auch die Brücke über den Monticano, von der man in der Ferne das Gebirge sieht. Die nahgelegene Burg über den Weinbergen haben wir nicht erklommen.
Ein Höhepunkt des Tages war die Überquerung der Piave. Auch dieser Fluss hat ein unglaublich breites Flussbett zwischen den Dämmen, führt jetzt aber normal Wasser.
Seume zum heutigen Tag:
„Von Conegliano aus ist der Weg schon sehr frequent, und die Landhäuser werden häufiger und schöner; und vor Treviso gibt es zahlreiche mit Villen besetzte Gärten.“
Zahllose kleine Fabriken entlang unserer Strecke
Tag 55 Von Godega di Sant Urbano nach Spresiano
Igrendwo hier in der Nähe hielt Lucio neben mir an.
In der Altstadt von Conegliano
Blick auf die Alpen von der Brücke der Piave