Ich habe lange nichts von Seume zitiert. Aber er hält sich bedeckt mit Details zu der Strecke hierher. Er nennt nur einige Ortsnamen. Zu Strasbourg schreibt er:

Das schöne Wetter lockte mich mit einer Gesellschaft über den Rhein herüber, und ich betrat nach meiner Pilgerschaft bei Kehl zuerst wieder den vaterländischen Boden, und sah die Verschüttungen des Forts und die neuen Einrichtungen der Regierung von Baden. Es ist schon sehr viel wieder aufgebaut. Daß ich mich etwas auf dem Münster umsah, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Man hat eine herrliche Aussicht auf die ganze große, schöne, reiche Gegend und den majestätischen Fluß hinauf und hinab. Es wäre vielleicht schwer zu bestimmen, ob der Dom in Mailand oder diese Kathedrale den Vorzug verdient. Diese beiden Gebäude sind wohl auf alle Fälle die größten Monumente gotischer Baukunst. Als ich in der Thomaskirche das schlecht gedachte und schön gearbeitete Monument des Marschalls Moritz von Sachsen betrachtete, kamen einige französische Soldaten zu mir, die sich wunderten, wie hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich mußte ihnen von der Geschichte des Helden so viel erzählen als ich wußte, um sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf der Polizei wunderte man sich, daß mein Paß nirgends unterschrieben war und ich wunderte mich mit, und erzählte meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von Paris bis Straßburg; da gab man mir auch hier das Papier ohne Unterschrift zurück.

Die Strecke nach Strasbourg ging mir gut von den Füßen, ich fuhr mit einem Durchschnitt von 14,2 km/h. Das tat ich, weil die Luft so wunderbar frisch, kein Gegenwind zu spüren war und ich dann doch noch mal den glatten Weg am Kanal hatte, eigentlich bis ins Stadtzentrum. Im Hotel (etwas abseits der Altstadt, auf ehemaligem Hafengelände, fast schon in Kehl, konnte ich (viel zu zeitig angekommen) immerhin meinen Rucksack abwerfen. Ich machte mich sofort wieder auf den Weg zum Münster.

So wie Seume auch bestieg ich die Plattform unterhalb der Turmspitze. Da stand ich wie zahlreiche Prominente vor mir (Goethe, Victor Hugo, Seume natürlich…) und hatte eine schöne Sicht auf die alte Stadt und das Umland. Der Aufstieg ist nichts für Leute mit Höhenangst oder Neigung zu Schwindelanfällen: hoch wie runter geht es einen engen Turm mit steiler Wendeltreppe, immer wieder mit Maßwerk unterbrochen, so dass man das ganze Gebäude aus unterschiedlichen Winkeln und Höhen betrachten kann. Das Münster war über viele Jahrzehnte mit 144 m das höchste Gebäude Europas, vermutlich auch das höchste der Welt. Nur die Cheops-Pyramide war um einige Meter höher bevor sie – als Steinbruch missbraucht – Höhe verlor. Die Turmspitzen sind angeblich deshalb so filigran gebaut, weil die Windlast geringer wird. Interessant auch: in einem der Türme, konkret im Unvollendeten, gibt es einen Aufzug mit Treträdern, der dem Transport von Baumaterial diente, das ja auch auf die beachtliche Höhe gebracht werden musste. Auf jeden Fall habe ich mich gefreut an diesem für mich seit vielen Jahren magischen Ort zu sein.

Strasbourg hat einen schönen, wenn auch immer mal wieder zerstörten, Altstadtkern, der von einem Kanal umgeben ist. Aber die sonstige Stadt erstreckt sich weit in die benachbarten Täler und besteht aus mehr oder weniger gelungenen neuen Gebäuden. Ich denke, das EU-Parlament und zahlreiche öffentliche Einrichtungen bringen ordentlich Geld in die Kasse. Die eigentliche Stadt hat nur ca. 300.000 Einwohner, verfügt über eine gut ausgebaute Infrastruktur. U.a. gute Fahrradwege und eine topmoderne Straßenbahn, die auch rüber nach Deutschland fährt, nach Kehl. Die Altstadt ist natürlich eine krasse Touristenhölle, vor allem um das Münster. Aber wenige hundert Meter weg wird es recht beschaulich. Wie so oft ab einer bestimmten Stadtgröße sieht man auch hier wieder Bettler, Junkies, Obdachlose. In einer alten Kaserne aus Wilhelminischer Zeit ist die Fremdenlegion stationiert, quasi unter einem Himmel mit dem Menschenrechtsgerichtshof.

Auf dem Kanal vor der Stadt kam mir ein Frachtschiff entgegen mit Kies beladen. Im Hafen hier liegen zahlreiche Boote für Flusskreuzfahrten. Also hat die Wasserinfrastruktur hier noch einige Bedeutung.

Blick vom Turm des Münsters über Hauptschiff und Absis in Richtung Rhein

Tag 13 Von Hochfelden nach Strasbourg

13. Mai 2024, 34,2 km bis km 540,3
Auf dem Weg nach Strasbourg zog etwas Bewölkung auf. Am Abend gab es Regen.

Lag an meinem Weg: das Europäische Parlament

Die Straßenbahn nach Kehl

Auf dem Platz vor dem Münster

Die Turmwächter waren oft pensionierte Steinmetze. Bis ins beginnende 19. Jahrhundert konnte man sich gegen ein kleines Schmiergeld von den Herren in die Turmwand taggen lassen,

Die Wendeltreppe nach unten