Nachdem ich Strasbourd und seine schicken, aber durchaus noch bescheidenen Vororte verlassen hatte, zischte ich auf dem Damm des Rheins nach Norden. Die ersten 20 km fuhr ich mit etwas mehr als 15 km/h im Durchschnitt. Ich bin also gut ausgeruht und es gab keinen Gegenwind.
Jetzt bin ich im Elsass und die Dörfer sind wirklich schön. Es gibt sehr viele wunderbar sanierte Fachwerkhäuser. Und sogar in kleinen Orten Bäcker! Dumm nur, dass meine Lebensmittelvorräte gerade gut gefüllt sind. Aber für ein Mandelcroissant gegen 9 war noch Platz. Ich war schon kurz vor acht auf der Piste und eigentlich zu schnell. Aber das Wetter war nicht einladend zum Hinsetzen und Zeichnen. Eine größere Telefonierpause mit den Resten von Nudeln und Tunfisch hatte ich am Kloster Marienthal, kurz vor Hagenau. Da zog ich dann auch widerwillig die Regenjacke an.
Am Ortseingang von Hagenau wieder ein größerer Soldatenfriedhof. Die stellt man sich ja immer so vor wie im Lied von Hannes Wader: endlose Kreuzreihen, umgeben von Wäldern, durchsetzt von Mohnblumen. Aber oft sind sie eher klein. Und der von Hagenau grenzt an den städtischen Friedhof, liegt quasi mitten im Wohngebiet. Und auf ihm standen auch nicht nur Kreuze. Es gab oben gewölbte Steine für angehörige der Sikh, für Muslime, besondere Steine für jüdische Gefallene. Am seltsamsten jedoch waren die Grabmale für sowjetische Gefangene aus dem 2. Weltkrieg, die ihr Leben ließen in den großen Gefangenenlagern in der Umgebung: es waren kleine spitze Dreiecke, die von hinten aussahen wie Panzersperren. Auf einen deutschen Soldatenfriedhof wurde hingewiesen, aber auch deutsche Gräber waren hier. Insgesamt Tote aus drei Kriegen seit 1870.
In Hagenau wollte ich eigentlich das Gepäckmuseum ansehen. Das zeigt Reisegepäck seit 1750. Das hätte mich schon interessiert und ich nahm einen kleinen Umweg in Kauf. Aber leider geschlossen. Da es anfing zu regnen, nahm ich unter dem Schirm eines Cafés Platz. Die Kellnerin brachte ab und zu Bestellungen raus, aber nahm von mir keine Notiz. Na gut, dachte ich, mach ich halt einfach halbwegs trocken Pause. Nach einer guten halben Stunde wurde ich dann gefragt, ob ich denn nichts (drinnen) bestellen wolle. Na gut, einen Beuteltee und ein Baguette. Ansonsten: Hagenau ist sehr Gronau.
Vor der verbleibenden Strecke zum Quartier hatte ich etwas Bammel. Auf der Karte sah man sehr gerade Linien und viel Wald. Also entweder eine fiese Straße oder anstrengende Waldwege. Ja, es waren Waldwege, aber die waren wunderbar asphaltiert, so dass ich schnell vorwärtskam. Ich machte eine weitere Pause in einer schönen Waldgaststätte: Le Gros Chêne. Dort trank ich elsässischen Cidre. Er schmeckt wie Apfelsaft mit Schuss und ist sehr frisch. Aber leider auch recht süß. Also danach lieber noch ein kleines Bier.
Der Wald, den ich durchquerte, ist berühmt, er gehörte zu einem vor etwa 1.000 Jahren noch weitgehend undurchdringlichen Urwald. Der wurde, als Hagenau noch Pfalz von Friedrich dem II. (!) war, nach und nach von Klöstern umstellt, bis irgendwann die ersten Wege geschlagen wurden. Dass Hagenau einmal Pfalz war, also temporäre Hauptstadt des riesigen Heiligen Römischen Reiches, kann man sich kaum vorstellen. Von der Pfalz ist nichts mehr übrig, der Ort wurde mehrfach verwüstet.
Nach dem Wald kamen Felder und Hügel mit niedlichen Dörfchen. All das wäre perfekt für einen Sonnenuntergang gewesen. Aber der leichte Nieselregen blieb treu an meiner Seite.
Quartier habe ich heute über AirBnB bei Denis, der mich auf der Treppe seines Häuschens freundlich empfing. Er spricht sehr gut Deutsch. Wir standen eine Weile in der Küche und sprachen über die Welt und wenig über Gott. Denis hat vor einigen Jahren seine Frau verloren und lebt mit seinem erwachsenen Sohn allein. Über AirBnB lernt er eine Menge Leute kennen. Denis, in diesem Sinne: Viel Glück!
Weil heute relativ wenig passierte, will ich mal was zu Gerüchen schreiben. Ich hatte ja auch während anderer Reisen schon davon berichtet, dass der lange Aufenthalt im Freien, den Geruchssinn auf erstaunliche Weise schärft oder wiederbelebt. Was also rieche ich so: viel geschnittenes Gras, aufgebrochene Felder, Kaminfeuer an den kühlen Tagen, den Geruch von Essen über erstaunliche Entfernungen, blühende Rapsfelder, den Wald, das etwas faulige Wasser der Kanäle an warmen Tagen. Ich rieche aber auch jede Kippe, jedes Auto, dass an mir vorbeifährt und nicht elektrisch angetrieben wird. Ich rieche den Diesel der Motorboote,, Hundekot und manchmal auch den besonderen Geruch eines Quartiers, in dem man landet. In den besseren oder jüngeren Hotels riecht es meistens (nicht unangenehm) nach Putzmitteln. In den alten Hotels rieht man wirklich die Jahrhunderte. Und manchmal dumme Spülsteine im WC.
Körperlich geht es mir blendend. Kein Vergleich zu den Strapazen meiner Wanderung nach Syrakus. Meine Füße haben völlig normale Tage, nicht eine Spur irgendwelcher Blasen. Der Körper wird beim Rollerfahren wunderbar bewegt. Es ist anders als auf dem Fahrrad, wo man eigentlich nur rumsitzt und strampelt. Beim Rollerfahren ist der ganze Rumpf in Bewegung, gut für Rücken und Hüfte. Meine Kondition hat zugenommen. Ich fahre mit leicht erhöhtem Puls, normaler Atemfrequenz, so als würde man langsam joggen. Der Roller verleitet ein wenig zum Sprinten, es gibt einen kleinen Geschwindigkeitsrausch auf gerader flacher Strecke. Da möchte man es jedem Radfahrer zeigen, vor allem aber den Dödels, die wie Pappkameraden auf ihren Elektrorollern herumstehen. Die überhole ich besonders gern, nur dann nicht, wenn es bergauf geht.
Im Elsass gibt es überall wunderbare Fachwerkhäuser in den Dörfern. Aber leider auch einige Schottergärten an den Neubauten.
Tag 15 Von Strasbourg nach Soultz-sous-Forets
Kloster Marienthal
Hagenau
Nochmals Hagenau
Nördlich von Hagenau