Vor Spoleto war ich noch im Supermarkt, denn das gebuchte Quartier war in einem Dorf mit zehn Häusern ohne Gastronomie und das Quartier ohne Frühstück. So kaufte ich denn Obst, ein richtiges dunkles Brot, Nüsse und Käse. Das schleppte ich dann den ganzen Tag mit mir herum.
In Spoleto habe ich beim Bäcker erst mal Station gemacht, was gegessen und draußen vor der Tür die Stiefel ausgezogen. Es hatte aufgehört mit regnen. Aber bei feuchter und nebeliger Luft hat das wenig gebracht, abgesehen von der Entspannung für die eingezwängten Füße.
Zu Spoleto schreibt Seume:
„Es ist ein großes, altes, dunkles, häßliches, jämmerliches Loch, das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in Norwegen sein, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier, denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse Gewissen; und nur mein Wirt mit seiner Familie schien eine Ausnahme zu machen. Deswegen habe ich mich auch keinen Deut um ihre Altertümer bekümmert, deren hier noch eine ziemliche Menge sein sollen. Aber alles ist Trümmer; und Trümmern überhaupt, und zumal in Spoleto, und überdies in so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne Unterhaltung. Über dem Tore, das man Hannibals Tor nennt, stehen die Worte in Marmor:
H A N N I B A L
CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS
INFESTO AGMINE URBEM ROMAN PETENS
AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS,
INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.“
Ja, dem kann ich nicht wirklich widersprechen. Spoleto wirkt ein wenig demoliert. Immerhin die Platte mit dem Spruch über dem Tor habe ich gefunden. Ebenso das alte nach Westen gehende Stadttor, welches Seume sicherlich durchschritt.
Und dann musste ich mich bei erneut einsetzendem Regen wieder einige Kilometer neben den Leitplanken einer Fernstraße herumquälen. Endlich ging ein Weg seitwärts bergauf durch den Wald. Der traf nach einigen Kilometern wieder auf die dröhnende Fernstraße. Ich hatte aber das Glück, dass es auch noch die ursprüngliche Passstraße aus den zwanziger Jahren gab, die fast ohne Verkehr in vielen Windungen durch das Tal führte in einigem Abstand zu der neu gebauten. Die sah ich immer mal wieder und ich sah so von unten auch manche marode Brücke, die mich an Genua denken ließ. Kurz vor Erreichen des höchsten Punktes der Tour, 690 m, ließ immerhin der Regen nach.
Seume schreibt zu diesem Teil des Weges – und auch dem kann ich nicht widersprechen:
„Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich sei nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Tal des Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den Bergen; von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Teil desselben; und hier war ich wieder zu Fuße ganz allein… und immer die wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte unterhielt man mich überall mit Räubergeschichten und Mordtaten, um mir einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich war nun einmal hartnäckig und lief trotzig allein meinen Weg immer vorwärts. … Der Weg aufwärts von Spoleto ist noch nicht so wild und furchtbar als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das Tal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit, rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und Waldströmen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser und ein halbes Dutzend in Strettura, dessen Name schon einen engen Paß anzeigt. Hier und da sind noch einige isolierte Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele alte, verlassene Gebäude, die ziemlich den Anblick von Räuberhöhlen tragen.“
Eben dieses Strettura war eigentlich mein Tagesziel. Die Gastgeber schrieben mir gegen Mittag, das Tor sei offen, und ich könne mein Auto in die Einfahrt stellen. Dann hinten die Treppe rauf zur Terrasse, wo die Tür offen sei. Die Terrasse dürfe ich selbstverständlich auch nutzen.
Das Tor stand aber nicht offen. Klingeln an der Tür und Klopfen half nicht. Mehrfach vergeblich angerufen, nur ein Anrufbeantworter, auf den ich immer wütendere Nachrichten sprach. Alles verrammelt. Textnachrichten wurden nicht beantwortet. Es war schon vier und ich entschloss mich, ein kleines Fristenultimatum von 15 Minuten zu setzen. In 45 Minuten wäre des zappenduster. Kein Bus, wenig Autos. Meine letzte Hoffnung war Trampen in das 17 km entfernte Terni, wo es eine gute Auswahl an Hotels gab.
Und ich hatte Glück: kaum war der Daumen draußen, hielt ein schwarzer SUV mit zwei älteren Herren, die mich bis nach Terni an den Bahnhof fuhren. So bin ich denn da, wo ich eigentlich erst morgen durchlaufen wollte, in Terni.
Das war eines meiner imposantesten Quartiere: Mittelalter pur.
Tag 75 Von San Giacomo nach Terni
Ein Schuster in seiner Werkstatt in Spoleto
Das von Seume erwähnte Tor mit der Inschrift
Ein Regentag im Apennin