Mein rechtes Fußgelenk zickt ein wenig, und ab Mittag war Regen angesagt. Also bin ich keine so lange Strecke gegangen heute. Terni hat im Krieg ca. 100 Bombenangriffe abbekommen, weil es hier viel Industrie gab und gibt. Die Stadt hat daher ein wenig die Anmutung von Heilbronn: viel Schnellgebautes, Gutgemeintes. Mein Hotel war gefüllt mit Geschäftsleuten aus diversen Ländern, teils in Monteursklamotten.

Der kürzeste Weg nach Narni ist eigentlich die alte Via Flavinina. 2.200 Jahre alt, aber leider heute kaum noch begehbar. Ja, nicht begehbar, denn entfernt man sich von einer Gemeinde, teilt man sich die relativ enge Fahrbahn mit den Autos. Komoot leitet mich daher über die Felder, was aber bei den aufgeweichten Böden nicht immer ein Vergnügen ist.

Wo in Deutschland die Zäune mit Bannern behangen wären, die Umgehungsstraße fordernd, ist den Italienern alles egal, was eine Straße an Nachteilen bringt, so scheint es jedenfalls. Wäre ich noch ausreichend jung, würde ich in Italien einen Laden für Hörgeräte aufmachen und unter der Hand gleich noch Schlafmittel und Antidepressiva verkaufen, Hustensaft sowieso.

Die Via Flavinia ist Seumes und auch mein Weg eigentlich schon seit Rimini. Während Seume hier den Vorteil einer guten Infrastruktur und ein wenig Sicherheit genießen konnte und einfach immer nur geradeaus gehen musste, stehe ich immerzu vor der Wahl: Risiko, Lärm und Gestank – oder Umweg. An manchen Tagen waren die Umwege ja ganz schön, aber sie fressen Zeit. Mit Bedauern schaue ich oft auf die Kilometerangaben auf den Wegweisen an der Straße und vergleiche sie stirnrunzelnd mit denen meiner Wanderapp. Da hätte ich oft Lust, einfach die kurze Verbindung der Straße zu nehmen, bedaure das dann aber spätestens nach einigen Kilometern. Immerhin erklärt sich so aber warum Seume ohne großes Kartenmaterial seinen Weg fand: zumindest in Italien musste er sich nur die Namen der alten Römerstraßen merken, er kannte sie vermutlich aus dem Lateinunterricht.

Die Italiener und die Umwelt – darüber habe ich heute ein wenig nachgedacht. Auf der ganzen Strecke durch Italien habe ich noch kein einziges Windrad gesehen, höchstens mal ein kleines auf privatem Grund. Das wird an den Windverhältnissen liegen, hier war es selbst an der Küste meistens windstill. Was das Zubauen von Landschaft betrifft, sind die Italiener auf keinen Fall zimperlich. Häufiger anzutreffen sind Solarpaneele. Auch habe ich schon Solarparks gesehen, die an Stelle von Weinreben die Südhänge bedecken. Müll wird getrennt, jedenfalls stehen überall bunte Tonnen. Wild in der Landschaft entsorgtes Zeug, Zigarettenschachteln, Plastikflaschen, Bierdosen, Kühlschränke, Bauschutt usw. hält sich in etwa mit deutschen Verhältnissen die Waage. Trotzdem halten die Italiener Deutschland für ein saubereres Land, zumindest auf dem „Stiefel“. In Sizilien werde ich Schlimmeres sehen. Dort kostet wohl die Müllabfuhr relativ viel Geld, wenn man auf dem Lande wohnt. Also wird wild „entsorgt“.

Ein pakistanischer Kollege auf Arbeit meinte mal, in Sachen Klimatisierung sei Deutschland noch ein Entwicklungsland. Selbiges kann man in Italien bezüglich der Heizungen konstatieren. Neugebaute Häuser haben oft eine Wärmedämmung, alte einfach dicke Mauern und weit auskragende Dächer.

Das Fahrrad, wichtiger Teil der deutschen Umweltpolitik, ist hier bestenfalls Spielzeug oder Sportgerät. Wo soll man damit auch fahren, wenn nicht auf den Straßen im sonntäglichen Pulk der Carbonrenner? Als Verkehrsmittel wird es überwiegend von Migranten genutzt – so jedenfalls meine Beobachtung. Aber vereinzelt findet man in größeren Städten Stationen für Leihräder. Man fährt halt Auto, koste es was es wolle, und oft schneller als erlaubt, aber nicht unbedingt rücksichtlos, wenn man gefährliches Rasen nicht unter dieses Attribut subsumiert. Wo sollen die Italiener auch sonst rauchen und telefonieren? So etwas wie Abgasuntersuchungen scheint es nicht zu geben. Viele Karren qualmen und stinken. Aber man ist vereinzelt auch schon elektrisch unterwegs. Tankstellen gibt es zuhauf, und sie werden in der Regel ohne anwesendes Personal, also mit Vorkassenautomaten betrieben. Videoüberwachung gibt es sowieso an jeder Ecke, sogar auf den Olivenhainen, behaupten jedenfalls die Schilder dort. Und auch hierzulande hat die Jugend den elektrifizierten Tretroller als Mittel zum Fettwerden entdeckt.

In Narni habe ich mal wieder in einem schicken Haus aus dem Mittelalter Quartier. Es ist eine weitere Geheimtippstadt, mein Quartier sowieso. Vorhin bin ich durch die Gassen gelaufen auf der vergeblichen Suche nach Imprägnierspray, denn für morgen ist unterbrechungsfreier Regen angesagt.

Mnachmal stehen mitten in den Feldern winzige Kirchen. Bei Ponte San Lorenzo.

Tag 76 Von Terni nach Narni

15. November 2022, 15 km bis km 2.057

Man beachte den liebevoll eingezäunten Kinderspielplatz an dieser stark befahrenen Straße.

Das Stadttor von Narni

Blick auf die Altstadt von Narni. Von den Parkdecks gibt es einen Aufzug nach oben.