Wenn die Welle von oben kommt, hilft auch das beste Imprägnierspray nichts. Ganz wie Seume bin ich nicht den Wanderweg über die Berge gegangen, sondern brav auf der Via Appia, die hier entlang der Küste verläuft.

„Der Morgen war frisch und schön, als wir Anxur verließen, der Wind stark und die Brandung hochstürmend, so daß ich am Strande eingenetzt war, ehe ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch an den steilen Felsen herauf.“

Genau so war es. Die Wogen schlugen ab und zu mal auf die Straße, die hier glücklicherweise nicht stark befahren ist. Ansonsten das Übliche: kein Fußweg aber Leitplanken. Da heute ein sonniger Tag war, wollte ich gern ein Stück am Strand laufen. Laut Karte sollte das etwa einen Kilometer hinter Terracina möglich sein. Aber wenn man durch eine hohe Stützmauer, Zäune oder andere Mauern vom Strand getrennt ist, kommt man da nicht einfach hin von der Straße.

An einem Campingplatz dann endlich ein Durchgang. Eine zufällig anwesende Mitarbeiterin fragte ich, ob man am Strand Richtung Rio Claro gehen könne. Klar ginge das, meinte sie, hat es aber offenbar noch nie selbst probiert.

Das Meer hat hier den Strand erheblich erodiert. Ich ging an einer Mauer mit einem Zaun entlang, war aber doch nicht weit genug weg, denn irgendwann schwappte eine Welle in die Stiefel, kein Entrinnen gab es. Doch machte ich es wieder wie Seume vor Terracina:

„Wenn man naß ist, muß man laufen…“

sagt er da zu seinem französischen Begleiter, der sich vor dem Regen verstecken wollte.

Aber ich kam nicht weit in meinen nassen Stiefeln, denn vor mir tauchte ein ziemlich breiter Bach auf, der sich ins Meer ergoss. Den ging ich ein Stück hinauf, so dass der Wasserstand nicht noch zusätzlich durch die Brandung erhöht wurde, zog Schuhe und Socken aus und watete durch. Damit bin ich ja eigentlich etwas vorsichtig, aber das Wasser war klar, am Grund lagen runde Kiesel und meine Füße sind schon seit geraumer Zeit ohne Blasen.

Nun ging es ganz romantisch barfuß weiter am Strand entlang bis das nächste Hindernis auftauchte. Was von weitem aussah wie eine steinerne Buhne, entpuppte sich als Einfassung eines ziemlich breiten Flusses. Ich war am Rio Claro angekommen. Den hätte man höchstens schwimmend überwinden können, und der Weg zur Brücke war mir barfuß zu weit.


In solchen Fällen ist es ein Segen, wenn man ein zweites Paar Schuhe dabeihat.

Aber auch sonst blieb mir nur die Straße, denn es gibt nur ab und zu einen Durchgang durch die Grundstücke zum Strand. Der Strand selbst ist trockenen Fußes nicht passierbar, weil die Brandung sehr dicht an die Bebauung heranreicht. Von daher lobe ich mir meine Ostsee, wo diese Unsitte, Strände mit Privatgrundstücken abzuriegeln zum Glück nicht so verbreitet ist. Aber vielleicht räumt das Meer all diese Hindernisse in den nächsten Jahrzehnten weg.

Nach etwa 8 km konnte ich die Via Appia, der ich weitgehend folgte, verlassen, und bewegte mich nun entlang des Canale Santa Anastasia. Das ist ein Teil des großen Entwässerungssystems, mit dem die Landbucht vor Fondi, die zu Seumes Zeiten noch sumpfig war, trockengelegt wurde. Es enthält noch heute große Pumpwerke. Das so gewonnene Land ist sehr fruchtbar. Es gibt große Gewächshauskomplexe und in der ganzen Region dominiert die Landwirtschaft.

Interessant ist es, wenn man auf den Feldern Menschen mit Fahrrad und Turban sieht. Offenbar haben hier zahlreiche Migranten Jobs gefunden. Auch in Fondi, dem Ziel meiner Reise, ist eine indische Community oder eine solche aus Bangladesh sichtlich präsent.

Auf den Dämmen, auf denen ich ging, war nach dem gestrigen Regen ein ständiger Pfützenslalom gefragt. Mich hat in der Abgeschiedenheit – heute habe ich kaum Siedlungen durchquert – aber auch der Umgang gerade der in der Landwirtschaft Tätigen, die zumindest in Deutschland immer wieder betonen, welch wichtigen Beitrag sie zur Erhaltung der Kulturlandschaft leisten, mit der Natur enttäuscht. Es lag derart viel Müll und Unrat in der Gegend herum, dass es einem wirklich auffallen musste. Was mich dabei immer am meisten betrübt, ist der Umstand, dass die Leute an dieser Unsitte offenbar täglich gleichgültig vorbeifahren. Da liegen irgendwelche Müllhaufen, besonders Plastikmüll vor einer Grundstückseinfahrt, und den Eigentümer scheint das nicht zu stören. Von kaputten Gewächshäusern fliegt Folie herum, alte Bewässerungsschläuche und Schutt aller Art ist in den Wegen festgefahren, das Wasser der Kanäle und Gräben ist mehr als trüb.

Fondi hat mich heute Abend mit einer merkwürdigen Stimmung gefesselt: es hat etwas von Weihnachtsmarkt. Auf den weiträumig für Autos gesperrten Straßen der Altstadt stehen Leute in Gruppen redend beieinander, man schlendert gelassen, überall leuchtet Weihnachtsdeko. Aber vielleicht ist das nur Einbildung, weil ich heute von meinen Kollegen aus Leipzig im Verteiler auch zum gemeinsamen Weihnachtsmarktbesuch eingeladen wurde. Das passt so gar nicht zu Strand, kurzen Hosen und T-Shirt.

Terracina mit dem alten Tempel auf dem Berg.

Tag 84 Von Terracina nach Fondi

23. November 2022, 22 km bis km 2.290

Die Via Appia mit Blick zurück auf ein altes Stadttor von Terracina. Und ich erreichte zum vierten Mal das Meer: dreimal erreichte ich die Adria in Tirest, Venedig und Rimini, jetzt bin ich am Golf von Neapel.

Überfluteter Strand bei einem Hotel.

Wasserbüffel auf einer Farm in den ehemaligen Sümpfen von Fondi