„Wir aßen zusammen in Veletri und schlenderten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir übernachten; aber das Wirtshaus hatte die schlechteste Miene von der Welt, und die päpstlichen Dragoner trieben ein gewaltig lärmendes Wesen. Übrigens fiel mir ein, daß dieses vermutlich der Ort war, wo Horaz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte; daß auch der Apostel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe man ihn nach Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumal da es noch hoch am Tage war, noch eine Station weiterzuwandeln, bis Torre di tre ponti. Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe.“ (Torre di Ponti ist ein kleines Dorf an der Via Appia - ep)
Heute Morgen tobte noch ein heftiges Gewitter, als ich nach sechs aufwachte. Ich nahm mir also Zeit und verließ das Quartier erst nach acht. Im Preis der Übernachtung inbegriffen war ein Voucher für ein Frühstück in einer Bar. Eigentlich keine schlechte Idee. Nur führte mich Googlemaps irgendwo hin, nur nicht an die avisierte Bar, trotz korrekt eingegebener Adresse. Zufällig kam ich so an der Markthalle vorbei und deckte mich mit Obst ein. Schließlich fand ich die Bar doch, denn Francesca, meine Gastgeberin, sandte mir dann noch eine genauere Beschreibung. Das Frühstück dort war allerdings ernüchternd. Immerhin hatte ich schon Tee getrunken. Auf meine Bitte, mir bitte nichts Süßes zu servieren, entstand große Ratlosigkeit. Schließlich zeigte ich auf eine Vitrine mit Sandwichs. Sowas isst natürlich kein Italiener an Morgen. Ich aß ein warmes Sandwich und danach noch ein Croissant, das es leider auch nur mit Zuckerkruste gab.
Es war schon weit nach neun, als ich endlich die Straße aus der Stadt nahm. Es hatte aufgehört zu regnen, aber alles war noch nass. Velletri ist ansonsten kein spektakulärer Ort, zumindest ergibt sich dieser Eindruck aus dem, was ich gesehen habe. Aber Regenwetter dämpft ja immer zusätzlich die Begeisterung.
Nach einigen Kilometern auf der Via Appia Nuova, die immer mal Teile der historischen Straße überbaut, führte mich Komoot endlich auf eine Nebenstraße. Von da an ging es durch Wein- und Olivengärten mit dazwischen gestreuten Häuschen. Da ging ich unter grauem Himmel und heftigem Wind bis zu einem Abzweig, der mich vergewisserte, nun wieder auf der historischen Via Appia zu sein. Diese ist heute mal Wanderweg, mal Feldweg, mal Pfad, aber in allem recht angenehm zu sehen und zu gehen.
So machte ich gut 8 km, dann stand ich wieder vor der dröhnenden Via Appia Nova. Aber die Stelle, an der ich landete, war eine gute Trampstelle. Die Geschwindigkeit war auf 60 km/h begrenz, zumindest auf den Schildern, eine breite Einmündung ließ gefahrloses Halten zu, und ich war schon von Weitem zu sehen.
In einer Kaufhalle hatte ich meine Vorräte an Nüssen und Schokolade ergänzt, aber auch große Pappteller gekauft. Einen solchen hatte ich mit TERRACINA beschriftet. Ich zog meine schlammige Regenhose aus und stellte mich in Positur. 30 Minuten wollte ich mir geben, dann weiterwandern. Doch ich hatte schon nach 15 Minuten Glück: ein netter junger Mann bot mir an, mich zum Bahnhof Cisterne di Latina zu fahren. Francesco, von Beruf Archäologe, ist selbst begeisterter Wanderer, und wir sind jetzt zumindest auf Instagram befreundet. Er hatte übrigens gehalten, weil er mich anhand meines Rucksacks einordnen konnte.
Es war erst kurz nach Mittag, und ich beschloss, mit dem Bus nach Terracine zu fahren (Züge fahren aktuell nicht direkt nach Terracine). Das Busticket kostete bescheidene 2,20 €. Die Idee, heute ein größeres Stück mit dem Bus zu fahren, hatte ich schon am gestrigen Abend. Denn Seumes Route, die Via Appia, ist für Fußgänger nur theoretisch passierbar. Abgesehen vom Verkehr und den wie immer nicht vorhandenen Fußwegen, ist die Strecke öde und gefährlich. Es ist die längste zusammenhängend geradeaus führende Straße der Welt. Sie führt weitgehend durch flaches Land, welches mit vielen Kanälen durchzogen ist. Die Routen, die Komoot hier vorschlägt, mäandern demzufolge auch in vielen rechten Winkeln neben der Straße her und machen daher gefühlt aus fünf Kilometern sieben. Ich bliebe also kaum am Original, der Route Seumes. Ein weiteres Problem sind Quartiere. Wo es weder Industrie noch Tourismus gibt, macht keiner ein Hotel auf. Ich hätte also darauf spekulieren müssen, dass ich sofort einen Lift bis nach Terracina bekomme, wenn ich weiter getrampt wäre.
Lassen wir Seume noch mal zu Wort kommen:
„Die letzte Station vor Terracina war für mich die abenteuerlichste. Die alte appische Straße geht links etwas oben an den Bergen hin und macht dadurch einen ziemlichen Umweg: aber die Neuen wollten dem Elemente zum Trotz klüger sein, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war groß, ich hatte den Abweg links über eine alte Brücke nicht gemerkt, und ging die große gerade Linie immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der See hineingetreten war und links durch die Gebüsche weit hinauf ging. Durch den ersten Absatz schritt ich rasch; aber es kam ein zweiter und ein dritter noch größerer. Es war dabei ein furchtbarer Regensturm und ich konnte nicht zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast eine Viertelstunde auf der Straße bis über den Gürtel im Wasser, und wußte nicht was vor mir sein würde. Einige Mal waren leere Plätze links und rechts; und da stand ich in den Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten mir Mut vorwärts. Endlich war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog eine Parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum Vorteil meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der göttlichen Circe in der Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen.“
So watete Seume durchs Wasser, wie ich gestern über Bäume kletterte. Aber Seume war eisern und ist durch, wo ich lieber umgekehrt bin.
Mein Bus fuhr übrigens über Latina, also gar nicht die Via Appia, sondern südlich von ihr. Ich glaube aber, die verregnete Landschaft vor dem Fenster hätte nicht viel anders ausgesehen. Der Busbahnhof in Latina ist groß und modern gebaut. Nur muss man das ganze Gelände ablaufen, bis man seinen Bahnsteig gefunden hat. Anzeigetafeln, gar elektronische, finden sich eher nicht.
Der Bus war übrigens sowohl von Cisterna di Latina als auch von Latina ausschließlich mit Migranten besetzt, wenn man mich da mal getrost mit einbezieht. Als ich in Latina einem dunkelhäutigen Passagier beim Aussteigen den Vortritt gab, strahlte der mich begeistert an und gab mir spontan die Hand. Was sagt uns das darüber, wie er wohl für gewöhnlich von Meinesgleichen behandelt wird?
Morgens in Velletri
Tag 83 Von Velletri nach Terracina
Einladung zum Wandern. Am Stadtrand von Veletri.
Der Busbahnhof von Latina
Überflutete Felder vor Terrazina