Heute war ein ruhiger, durchweg sonniger Tag. Nach einem kurzen Stück durch Nancy fuhr ich entlang des Rhei-Marne-Kanals auf schön glatt asphaltierten Treidelwegen. Die Gegend selbst ist schon flach, aber der Treidelweg natürlich noch flacher. Ich hatte etwas Gegenwind und wusste, dass ich eigentlich zu zeitig ankommen werde. Also schlurfte ich mit 12,5 km/h die Deiche lang. Nur in Einville-au-Jard machte ich einen kleinen Abzweig. Ich fand einen Bäcker und kaufte eine Fleischpastete und eine Zimtschnecke. Die Pastete aß ich auf einer Bank in der Ortsmitte. Nicht um mich herum passierte. Ein paar Leute kamen und fuhren mit ihren Autos, verschwanden kurz bei dem Bäcker. Dann wider Stille.

Ansonsten sah ich von den meisten Dörfern nur die Kirchtürme. Ich kam an zwei großen Chemiefabriken (SOLVAY) vorbei, wo Salz aus hiesiger Förderung verarbeitet wird. Es werden Soda und Bicarbonate hergestellt, und zwar schon seit dem späteren 19. Jahrhundert. Vor dem Werk passierte ich eine riesige Abraumhalde, die ich aus der Ferne für einen großen Damm hielt. Später traf ich noch auf einen historischen hölzernen Förderturm zur Gewinnung von Sole.

Ansonsten ist die Gegend dörflich. Man sieht große Traktoren herumfahren, hört Rasenmäher dröhnen, trifft bis auf ein paar Radfahrer und Spaziergänger kaum Leute. Alles mutet an wie Sachsen-Anhalt. Oder Sachsen-Anhalt könnte genausogut Frankreich sein: Dörfer ohne Kneipen und Läden, viel steht leer oder zum Verkauf, wenig Tourismus, wenig Einkommen, viel Himmel.

Ich bin heute schnell vorangekommen und habe Pausen gemacht für ein paar Zeichnungen. Viel zu früh wäre ich bei den meisten Quartieren, wenn ich einfach durchfahren würde. Längere Strecken würde aber an die Substanz gehen. Ich denke so um die 50 km sind ok pro Tag. Mein Tagesdurchschnitt liegt bei 46 km. Morgen werde ich nur 35 fahren, weil anders kein Quartier zu bekommen ist.

Man findet des Öfteren Hinweistafeln auf die Schlachten des 2. Weltkrieges, aber auch Friedhöfe für die Soldaten des 1. Die Amerikaner haben in beiden Kriegen viel geopfert, um den deutschen Militarismus und später den Faschismus in die Grenzen zu verweisen. Das vergisst Mancher, der im Verschwörungswahn zum Antiamerikanismus neigt.

Hier im Ort gibt es am Kanal eine Art Marina, wo man Boote mieten kann. Ich frag mich, was die Leute toll finden, wenn sie stupide geradeaus tuckern, nichts groß sehen außer den Bäumen am Ufer, und alle paar Kilometer durch eine Schleuse müssen. Bisher ist auch niemand auf die Idee gekommen, wenigstens eine Kaffeebude an einer der Schleusen aufzumachen. Lohnt sich wahrscheinlich nicht.

Mein Hotel in Lagarder hat die besten Jahrzehnte hinter sich. Es sind eigentlich nur ein paar schlichte Zimmer über einer stillgelegten Kneipe. Ich glaube, es wird nur noch von Radwanderern gebucht oder wenn im Dorf mal jemand heiratet. Oder noch einer gestorben ist. Aber der Chef ist nett und unkompliziert.

Ich habe den Tisch ans Fenster gestellt, schaue auf die Kirche und das Kriegerdenkmal mit der französischen Flagge, trinke schwarzen Tee zu Schokolade. Ab und zu fahren Traktoren vorbei als wären`s amerikanische Panzer. Später, wenn die Sonne etwas tiefer steht, werde ich noch mal zum hiesigen Soldatenfriedhof fahren, den ich beim Rumtrödeln am Ortsrand fand. Fotografisch ist die Jahreszeit etwas undankbar. Alles ist quietschegrün, der Himmel blau, der Asphalt grau.


Am Morgen hinter Nancy

Tag 10 Von Nancy nach Lagarder

10. Mai 2024, 46,8 km bis km 419,8

Es dampft, zischt und riecht ein wenig nach Ammoniak.

Der Kanal überquert die Meurthe bei Saint-Philin. Eisenbahn und Radweg sind auch mit auf der Brücke.

Alte und neue Saline bei Einville-au-Jard.

Die Dorfstraße von Einville-au-Jard

Überschwemmte Wiesen. Die Folgen des langen Regens sind sher oft noch sichtbar. Die Maas führt hohes Wasser.

Der Blick aus meinem Hotelfenster.