Also schnell zum Bahnhof und ab in den Zug. Zurück nach Divaca. Immerhin bin ich so schon mal mit der italienischen und slowenischen Bahn gefahren. Ich habe nette Schaffnerinnen kennengelernt, durfte ohne Aufschlag im Zug bezahlen. Der fuhr von Triest einen großen Bogen hoch in die Berge nach Opicina. Dort musste man den Zug wechseln und hatte eine Viertelstunde Aufenthalt. Kurz nach 10 war ich in Divaca. Dort wollte die Frau vom Chef den Ausweis zum Bahnhof bringen, wurde mir gesagt, als ich telefonisch meine Ankunft ankündigte. Damit war ich allerdings nicht so ganz einverstanden. Ich erklärte, dass der nächste Zug zurück nach Triest erst am fühen Nachmittag fährt, und dass ich erwarte, dass man mich ein Stück mit dem Auto zurückfährt. Um das zu klären, müsse ich erst mal ins Hotel kommen. Immerhin, das war gleich beim Bahnhof um die Ecke.
Dort stand auch schon der nette junge Mann, der mir das ganze Thema eingebrockt hatte. Er staunte als ich kam, denn seine Frau sei doch mit dem Ausweis am Bahnhof. Na gut, er griff zum Telefon, die Frau kam mit dem Ausweis zurück. Jetzt bekam ich erst mal einen Tee, denn zunächst mussten die restlichen Gäste ausgecheckt werden. Dann aber werde man mich fahren. Ohne große Diskussion, das war fair.
Und so wurde ich denn durch den netten Jungen Mann in einen Dacia gebeten, und er schlug vor, mich nach Sistiana zu fahren, das liegt fast am Meer und etwa auf halber Strecke nach Monfalcone, meinem eigentlichen Tagesziel. Im Auto unterhielten wir uns noch über die Einkommensverhältnisse in Slowenien und die Gentrifizierung der grenznahen Regionen durch Vermögende aus Österreich und Italien. Einige Leute aus Triest pendeln jetzt aus dem günstigen Slowenien nach Italien zur Arbeit. In Slowenien belaufen sich die Einkommen der Normalverdiener auf Bereiche zwischen 800 € (Job in der Fabrik des Autozulieferers) und ca. 1.300 € monatlich im internationalen Tourismus. Und das trotz des auch hier um sich greifenden Fachkräftemangels. Eine Wohnung um die 80 m² kostet aber dennoch 600 € Miete monatlich. Kreditzinsen liegen deutlich über 5%, wenn man bauen will. Ja, und offenbar habe ich während meiner ganzen Zeit in Slowenien deshalb nur zwei Polizisten gesehen, weil das Land als friedlich, die Menschen als zufrieden gelten.
Von Sistiana ist es nicht weit zu einem schönen Wanderweg oben auf der Steilküste, dem Rilke-Weg. Von dem hat man spektakuläre Ausblicke, es sei denn, alles versinkt gerade in Dunst und Nebel. Zahllos deutsche Rentner begleiteten mich nun oder kamen mir entgegen. Busse auf den nahen Parkplätzen verhießen nichts Gutes. Rilke war des Öfteren auf Schloss Duino, auf dass ich zulief. Dort war im Jahre 1912 eine privat geführte Künstlerresidenz, u.a. für Rilke, der wohl den Wanderweg auf den Klippen ab und zu ging und sich inspirieren ließ.
Aber nach dem Schloss ging ich wieder bald durch den Wald, es waren die Ausläufer des Karstgebirges. Bei Peschiera hatte ich das Vergnügen, ein kleines geologisches Wunder bestaunen zu dürfen. Dort tritt der Timavo einfach so aus dem Felsen nach oben. Es ist ein beachtlicher Fluss, der 46 km Luftlinie entfernt genauso in Karsthöhlen verschwindet, wie er hier wieder rauskommt. Es ist ganz klares bläulich grünes Wasser, welches mit einer starken Strömung und gleich drei Wasserarmen aus einer Felswand quillt. Das war schon zur Antike ein sagenumwobener Kultort.
Seume schreibt dazu:
„An dem Zwickel der Berge kommt hier ein schöner Fluß aus der Erde hervor, der vermutlich auch Höhlen bildet. Hier sind nach aller Lokalität, gewiß Virgils Felsen des Timavus; und ich sah stolz umher, daß ich nun ausgemacht den klassischen Boden betrat.“
Wo Seume dann genau langging, kann ich nicht sagen. Görz oder Garica ist zu weit weg im Norden. Das erwähnt er als Richtung in die er ging. Bei Seume sind aber Landschaftsbeschreibungen oft so formuliert, dass man nicht genau weiß, ob er nun tatsächlich dort war oder dem Leser nur geografische Orientierungen geben will.
Nach dem berühmten Flussspektakel ging ich jedenfalls auch nach Nordwesten bergauf. Die Alternative wäre die alte, aber stark befahrene und wie zu erwarten fußweglose Straße nach Monfalcone gewesen. So gewann ich schnell Höhe, hatte nochmal einen dunstigen Blick auf die mit Hafenanlagen zugestellte Bucht vor mir.
Und dann, oben auf dem Karstgebirge fand ich mich plötzlich in einer gespenstischen Szenerie: ein Waldbrand muss vor nicht allzu langer Zeit gewütet haben. Kein einziger Baum hatte überlebt. Selbst große Kiefern hatte verkohlte Stämme und auch oben in den Kronen nur noch kümmerliche Büschel brauner Nadeln. Das wirkte so bizarr, weil die ganze Kalksteinblöcke am Boden ein strahlendes Weiß bekommen hatten, als hätte ihnen jemand ein brutales Bleaching verpasst. Offenbar hat die Hitze jedes Moos, jede Flechte weggesengt. Es standen nur noch dürre schwarze Stämmchen, und man konnte so ohne Unterholz und Kraut verblüffend weit schauen.
Ein wenig musste ich mich in der Mittagshitze entlang der Autobahn über Schotterwege dahinquälen. Dann war ich vor Monfalcone wieder im Wald und stand vor einer weiteren Attraktion: komplett erhaltene Befestigungsanlagen aus dem 1. Weltkrieg. Hier auf den Kämmen vor der Stadt lieferten sich Österreicher und Italiener erbitterte Stellungskriege. Jetzt wirkte alles seltsam putzig, denn durch die Schießscharten der gemauerten Gräben konnte man nur in den dichten Wald blicken. Tafeln zelebrieren hier einen Themenpark zum „Großen Krieg“. Interessant, dass auch natürliche vorhandene Höhlen zu Unterständen ausgebaut wurden.
In Monfalcone kam ich schon am frühen Nachmittag an. Die Stadt war trotz Siesta voller Lärm, denn am zentralen Platz wird gerade das Pflaster erneuert. Immerhin fand ich eine geöffnete Bar und etwas zu Essen. Die Stadt selbst ist nicht sonderlich attraktiv. In der Bar hatte ich ein längeres Gespräch mit einem gealterten Immobilienmakler. Er konnte leidlich Englisch. Seine Tochter studierte in Köln und war lange in Frankfurt Main. So haben wir über beide Länder ein wenig geredet und natürlich auch über meinen Wanderplan. Ich durfte ihn porträtieren. Als er aber Parallelen zog zwischen Angela Merkel und Giorgia Meloni hab ich dann mal gezahlt…
Auch war ich ja noch frisch und habe noch gut drei Kilometer nach Ronchi dei Legionari gemacht, wo ich über einer Eisdiele Quartier habe. Morgen werde ich nach Palmanova weiterziehen. Dort war Seume offenbar, denn er beschreibt die Stadt etwas genauer. Sie liegt auch klar auf dem Weg nach Udine von hier aus gesehen. Palmanova gehört sein 2017 zum Weltkulturerbe.
Jetzt, wo ich endlich in Italien bin, fallen mir ständig spanische Vokabeln ein. Aber es wird, mein Italienisch!
Blick auf Schloss Duino von der Steilküste mit dem Rilkeweg
Tag 48 Von Triest nach Ronchi dei Legionari
Der Austritt des Timavo
Die Spuren eines Waldbrands
Vielen Leuten gab ich meine Visitenkarte. Er hält sie in der Hand. Aber auch er gehörte zur Mehrheit derer, die sich nie irgendwie meldeten oder aber mir vielleicht unbemerkt im Internet auf meiner Reise folgten.