Der Abgang aus Wien war nicht ganz so beeindruckend. Die Kurve der Kaffeehausdichte, des Hipsterfaktors, des sichtbaren Wohlstands fällt steil, wenn man Wien gen Süden verlässt. Irgendwann ist es dann wie Wedding oder Neukölln. Es ist zunächst mal beeindruckend, in welcher Zahl hier Blocks mit Wohnungen durch die Kommune errichtet wurden, in den zwanziger Jahren finanziert durch eine Wohnbausteuer, wie an manchen Giebeln zu lesen ist. Die Bauten sind oft in Blockform als Karree mit Innenhöfen wie kleine Festungen angelegt. Ich muss aber auch an die Hutongs in Peking und Kanton denken, sofern von diesen noch etwas übrig ist. Auch an Kasernen erinnern diese Anlagen zuweilen. Und ich frage mich, wie da wohl die Mischung ist aus Nachbarschaftsheimeligkeit und Kontrolliertheit. Aber schön ist, zu sehen, wie weit hier auch Architekten freie Hand gelassen wurde bei der Gestaltung.

Wien leidet übrigens wie auch Berlin an sehr wenig Bänken im öffentlichen Raum, vor allem entlang der großen Straßen. Das fällt einem auf, wenn man als Nichtortskundiger Pause machen will. Auf dem Land wiederum ist es ähnlich wie in Deutschland (und besser als in Tschechien), es gibt an schönen Stellen oft auch eine Bank, nicht immer von Privatpersonen gestiftet.

Ähnlich ambitionierten (gegenwärtigen) sozialen Wohnungsbau wie in Wien findet man auch in den Vorstädten und Dörfern. Wobei es auch Extreme gibt wie das Hochhaus (!) mitten im Dörfchen Schönau, welches auch einen Schlosspark beherbergt.

Ansonsten ist die Landschaft im Süden von Wien flach, laut, zersiedelt und, nun ja, etwas langweilig. Gewerbegebiete, Dörfliches und viel Eigenheim haben die Landschaft zerbröckeln lassen. Das ganze neben der A2 dennoch zerschnitten von Fernverkehrsstraßen, die auch mal mitten durch die Orte führen. Nach etwa 18 km Wegs stieß ich in Wiener Neudorf auf eine Straßenbahnlinie. Das wäre mein Preis gewesen. Aber ich wollte ja Wien sehen. Trotzdem Glückwunsch zu diesem Schritt. Sie führt bis nach Baden und verbindet die Vororte im Viertelstundentakt direkt mit dem Wiener Zentrum.


Dann gibt es überall Weingüter und „Heurige“ und immerzu Werbung für die einzelnen Güter, Radwege, die nach Rebsorten benannt sind. Ich frag mich, wer hier immerzu trinkt und wie das dann mit dem Fahren der schicken Autos gehandhabt wird. So viele Leute sehe ich auch auf dem Rad nicht.

Eigentlich wollte ich nach gemütlichen 26 km in Traiskirchen absteigen, aber da war kein Quartier zu bekommen. U.a. wieder so eine doofe Pension, die man auf Google findet, und wo einfach niemand ans Telefon geht. Also musste ich noch 10 km draufsatteln bis zu einem etwas merkwürdigen „Schlaffass“, gleich neben dem Dinopark in Tattendorf. Da es schon spät war, blieb leider keine Zeit für ein Abendessen, denn der Sonnenuntergang nahte. Immerhin führte der Weg entlang der Triesting, einem kleinen Flüsschen im Wald. Und tatsächlich kam ich bei völliger Dunkelheit, kurz nach 19 h an meinem Quartier an.

Das Schlaffass ist eine miese Bewertung wert. Es ist unverschämte 65 € teuer. Man übernachtet in winzigen Bungalows, die aus Holz sind und halt wie ein Fass aussehen sollen. Die stehen auf einem schlecht beleuchteten Gelände herum, Gemeinschaftsklo, Gemeinschaftsdusche, kein Frühstück, kein Wasserkocher, nichts zu Essen. Für Campingfreunde vielleicht noch akzeptabel. Ohne Taschenlampe oder Reststrom auf dem Smartphone ist man aufgeschmissen.

Kreuzung an einer Ausfallstraße im Süden von Wien.

Tag 26 Von Wien nach Tattendorf

26. September 2022, 36 km bis km 667,8

Oft begegnen mir in Österreich Wege, die sehen aus, wie aus der Landschaft gefräst.