Der Tag heute hätte sich gut zum Testen von U-Booten geeignet, und zwar nicht nur im Rhein. Brav trödelte ich bis kurz vor acht rum, weil ich gemäß Wetterbericht dann keinen Regen mehr zu erwarten hätte. Tatsächlich gab es nur noch ein ganz leichtes Nieseln, als ich losfuhr. Aber eine halbe Stunde später nahm das Nieseln zu und wandelte sich in einen hartnäckigen Landregen.

Ich hatte ja die Regenjacke an. Aber in Neuhofen machte ich zunächst halt und zog die Hülle über den Rucksack (der leider nicht wasserfest ist). Wenig später setzte ich mich in eine Bäckerei, aß ein Stück Kuchen und einen Rosinenbrötchen, zweites Frühstück. Nebenher wurde ich Zeuge des letzten Arbeitstages einer der Verkäuferinnen. Auf einem Tisch standen schon diverse Abschiedsgeschenke, alle möglichen Kunden verabschiedeten sie mit einem Tonfall, der auch am Rande eines Grabes passend wäre (obwohl sie demnächst wieder zwei Tage die Woche arbeiten will. „Welche Pläne haben Sie denn so fürs Rentnerleben?“ wollte ich wissen. „Erst mal ganz lange in Urlaub fahren“, war die Antwort. Das wars.

Der Regen wollte nicht aufhören. Und ich wollte nicht länger rumsitzen. Also zog ich noch die Stulpen über die Schuhe und fuhr weiter.

Das nächste Etappenziel war Ludwigshafen. Ich hatte meine Route extra so gewählt, dass ich die Stadt durchquere. Als ich einen Wegweiser nach Oggersheim passierte, war mir ein wenig mulmig. Aus dieser Gegend kam er also, der olle Kohl, erklärt Einiges.

Ludwigshafen, das sind Häuser, die man um Fabriken herumgebaut hat. Und auffällig viele Hochbunker auch. Badische Anilin- und Sodafabriken – das klingt irgendwie so niedlich, als würden da Leute in weißen Schürzen an Kochtöpfen stehen. Tatsächlich pappt an jedem zweiten Gebäude irgendwas mit BASF. Immer wieder gibt es Werkseinfahrten, die haben zweistellige Ziffern zur Bezeichnung. Endlose videoüberwachte Zäune. Eine derartige Landschaft habe ich nicht oft gesehen. Man sollte sie zum Landschaftsschutzgebiet erklären. Eingezäunt ist ja eh schon alles.

Nach endlosem Motorenlärm grundsätzlich vierspuriger Straßen rollte ich durch die Rheinauen und sah die Kolonnen, Tanks, Reaktoren und Schlote nur noch von Weitem. Der Rhein war braungelblich eingefärbt und hatte einen deutlich gestiegenen Wasserstand. An einer Stelle hatte man den Deich zurückverlegt. Bei Hochwasser, so war auf einem Schild zu lesen, ist dann für Radfahrer kein Durchkommen mehr. Immerhin, hier hat die Natur mal was zurückbekommen.

Als ich in Worms einfuhr, hatte ich im ersten Moment den Eindruck, ich sei im Kreis gefahren. Das Stadtbild ähnelt dem Ludwigshafens sehr. Vierspurige Straßen, viel Kram aus den Fünfziger Jahren. Nur die BASF fehlt. Ich rollte auf den Markt, und hätten dort keine Blumenverkäufer ihre Stände eingepackt: niemals hätte ich diesen Ort für einen Markt gehalten. Denn dieses Rechteck liegt war in der Mitte der Stadt, aber an zwei seiner Seiten strömt hemmungslos der Durchgansverkehr vorbei. Worms hat schwer gelitten, am Krieg und am Wirtschaftswunder. Nur wenige der alten Straßenführungen sind erhalten. Oft hat man einfach wahllos Wohnblöcke gesetzt. Was passiert, wenn man in einer Stadt alles wegradiert, nur die Kirchen stehen lässt, und dann das Wirtschaftswunder kommt? Worms.

Es ist so krass, wenn man durch diese Orte fährt und dann die Plakate zur Kommunalwahl hängen sieht: „Wir für Worms“ „Ludwigshafen – Zukunft mit uns“ (NEIN!!!) „Wir bringen Bewegung“.

Auch in Worms habe ich den Dom besichtigt. Und auch hier ist nach diversen Katastrophen fast nichts mehr Übrigen vom frühmittelalterlichen romanischen Original. Immerhin: in der Krypta stehen die Särge etlicher Manager/innen des Heiligen Römischen Reiches, die vor gut 1.000 Jahren aktiv waren. Bewegend.

Ich habe heute ein kleines Apartment gleich beim jüdischen Viertel. Genau dieses Viertel ist noch am besten erhalten, und sogar die Synagoge hat man in den 60-ziger Jahren wieder aufgebaut. Ein wichtiges Museum, denn im Mittelalter gab es hier mit der SchUM eine Vereinigung jüdischer Gemeinden, der neben Mainz, Speyer u.a. auch die Wormser angehörte mit Verbindungen weit nach Frankreich und Italien. Bitte mal den zugehörigen Wikipedia-Artikel lesen. Es ist interessant, welcher Einfluss von hier auf jüdisches Leben ausgeübt wurde.

Es gibt hier in der Gegend noch eine Besonderheit: in Autowerkstätten werden Motoren so manipuliert, dass es permanent zu knallenden Fehlzündungen kommt. Und just an der recht belebten Ecke vor meiner Butze, kommt nicht nur Lärm aus der Shisha-Bar, es knallt, quietscht und röhrt unentwegt.


Hochbunker (Mitte) in Ludwigshafen an einer typischen Kreuzung

Tag 15 Von Speyer nach Worms

18. Mai 2024, 43,8 km bis zu km 712,5
BAS. Seume zu meiner Strecke heute: "Den andern Tag rollte ich mit der kaiserlichen Diligence durch einen der schönsten Striche Deutschlands hierher."

Der Rhein nördlich von Ludwigshafen führte etwas Hochwasser.

Im Wormser Dom

Sarkophage in der Krypta.

Typische Straße in Worms. Das Hotel links heißt allen Ernstes "Zum alten Kaiser".

Markt und Rathaus von Worms. Manchmal frage ich, ob die Nazi-Architekten in den Fünzigern einfach weitermachen durften, mit etwas weniger Budget.